Gesetzgebung

Ein theologisches Konstrukt wird Kriterium

Völlig unverständlich bleibt die willkürliche Auslegung von Lots Familientragödie durch christliche Theologen vom 2. Jahrhundert bis Johannes Chrysostomos (um 349-407) und Augustinus (354-430): Denn da wurde konstruiert, dass es sich bei den "Sünden von Sodom" hauptsächlich um gleichgeschlechtliche sexuelle Akte und zusätzlich, in der biblischen Sodomgeschichte nicht erwähnt, auch um Unzucht mit Tieren gehandelt habe. (Das letztere Vergehen wird noch heute "Sodomie" genannt.) Die starre, extrem verständnislose, ablehnende Haltung der Koptischen und Orthodoxen Kirchen gegenüber Homosexualität (bis heute) hat ihren Ursprung ebenfalls bei den genannten Theologen. (siehe Zeittafel)

Auf die Theologen folgten relativ rasch die Gesetzgeber. In seinem "Erlass an die Einwohner von Konstantinopel über Ausschweifungen wider die Natur" liess Kaiser Justinian (483-565, Kaiser ab 527) unter anderem verkünden1:

"Vielmehr wollen  wir alle uns der schlechten Begierden und Handlungen enthalten. Vor allem aber sollen das diejenigen tun, die so verkommen sind, zuchtlose Handlungen zu begehen, die vor Gott ein Greuel und ihm zu Recht verhasst sind. Wir meinen damit jene Männer, die mit Männern Widerwärtiges treiben. Denn wir wissen aus der Heiligen Schrift, wie Gott die Einwohner von Sodom wegen ihrer sexuellen Ausschweifung bestraft hat, so dass die Umgebung der Stadt noch heute vom Feuer gesengt ist."

Die von den Theologen übernommene "Wahrheit" über die "Sünde der Sodomiten"  und der sich darauf berufende "Erlass an die Einwohner von Konstantinopel" wurden Bestandteil der unter Justinian von 528 bis 534 erstellten Sammlung und Vereinheitlichung von Gesetzen, den Corpus iuris civilis.

Dadurch gelangte diese Sichtweise (sodomitische Sünde) und ihre Bestrafung (durch das Feuer) in die europäische Gesetzgebung, wo sich die juristische (dem Corpus iuris civilis gemässe) Beurteilung der "Sodomie" bis ins 20. Jahrhundert auswirkte. Die Geschichte des deutschen §175, des "Homosexuellenparagraphen" zeigt dies exemplarisch. 

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Ernst Ostertag, Oktober 2005, August 2023

Quellenverweise
1

Gotthard Feustel: "Geschichte der Homosexualität", 2003, Seite 34.