Fragebogen

86 anonyme Fragenbogen von Betroffenen

 Zu seiner These kam Hafter unter anderem auf Grund des folgenden Ereignisses1:

"Auf eigenartige Weise bin ich in den Besitz eines ziemlich umfangreichen Tatsachenmaterials über die Homosexualität in der Schweiz gekommen. Unter dem Eindruck der nationalrätlichen Beratung [...] hat ein Kreis von 'Beteiligten' meine Meinungsäusserung erbeten. Ich habe zunächst den Wunsch nach weiterer tatsächlicher Aufklärung in den Vordergrund gestellt. An eine grössere Zahl von Homosexuellen sind - ohne meine Mitwirkung - Fragebogen versandt worden. Die Antworten gingen, ohne dass die Antwortenden ihren Namen zu nennen hatten, an mich."

Anmerkung:

"Jeder Antwort liegt, zur Durchführung einer allfälligen Kontrolle, ein den Namen enthaltender verschlossener Umschlag bei. Ich bin befugt, Umschläge zu öffnen, habe aber dazu keine Veranlassung. Nur Antworten, nicht Namen interessieren. Diskretion ist in diesem Falle Selbstverständlichkeit. Dafür, dass die Beantwortung der Fragebogen ohne Beeinflussung von irgendwelcher Seite erfolgt ist, glaube ich mich einsetzen zu können. [...]"

Diese Umfrage erfolgte bei 85 Männern und einer Frau, das heisst, so viele ausgefüllte Fragebogen sind bei Prof. Hafter eingetroffen. Einzelne Fragen wurden zudem ausführlich kommentiert.

Das Alter der Mitmachenden lag zwischen 22 und 60 Jahren. Unter ihnen waren neben den freiberuflich und künstlerisch-intellektuell Tätigen unter anderen auch 12 Fabrikanten und Kaufleute, 19 kaufmännische und andere Angestellte, 9 Handwerker, 7 Lehrer, 7 Post- und Bahnbeamte oder -angestellte, 5 Ärzte und Apotheker und ebenfalls 5 Hoteliers und Angestellte im Wirtschaftsgewerbe.

60 Befragte bekannten sich als ausschliesslich homosexuell und 26 als bisexuell. 80 hielten ihre sexuelle Ausrichtung für naturgegeben und viele stellten in den Kommentaren fest, dass Verführung keine Rolle gespielt habe.

Viele erwähnten überdies, dass sie erpresst worden und in berufliche Schwierigkeiten geraten seien. Andere hatten erfolglos Behandlungen versucht. Etliche Stellungnahmen forderten ausdrücklich, eine analoge Anwendung wie sie allgemein für Frau und Mann gelte, genüge vollkommen.

Hafters eigene zusätzliche Bemerkungen:

"Vielfach wird betont, dass der Homosexuelle, infolge der Einstellung der Gesellschaft und des Strafgesetzgebers [...] gezwungen ist eine Maske zu tragen, ein Doppelleben zu führen. Darunter leidet selbstverständlich der Charakter [...] Von den Antwortenden sind 78 unverheiratet. Sie begleiten diese Feststellung mit dem Hinweis darauf, dass die Ehe unmöglich sei, dass die Heirat eines Homosexuellen gegenüber dem Ehepartner unmoralisch, eine Lüge, ein Betrug sei, dass öfters solche Ehen nur geschlossen werden, um nach aussen den Schein normaler Veranlagung zu erwecken."

Abschliessend zitierte Hafter noch einige der Kommentare. Aus einem davon:

"Wenn man mich bestrafen würde, würde ich es dort einreihen, wo alle Gewaltakte hingehören; innerlich würde ich die Bestrafung nicht annehmen, mich auch niemals verteidigen. Zu bestrafen bleibt nur, was auch im normalen Leben als unzulässig behandelt wird."

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Ernst Ostertag, Mai 2004

Quellenverweise
1

Sämtliche Zitate stammen aus dem Aufsatz "Homosexualität und Strafgesetzgeber" von Professor Dr. Ernst Hafter in Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, Nr. 43/1929, S. 51-56