COC überholt KREIS

Als ich (Ernst Ostertag) am 12. und 13. Oktober 1961 das COC besuchte und die Grüsse des KREIS offiziell überbrachte, erzählte mir Nico Engelschman / Bob Angelo die Geschichte vom Anstoss in der Schweiz im Sommer 1946 und dem Anfang in Amsterdam noch ausführlicher.

Und durch einen jüngeren, stellvertretenden Leiter, Benno Premsela (1920-1997), erfuhr ich mit Erstaunen und Freude, dass man in Amsterdam viel weiter zu gehen bereit war, indem eine Strategie des Heraustretens aus dem Ghetto entwickelt werde und einzelne Mitglieder mit persönlichem Einsatz und unter vollem Namen die Öffnung gegenüber der Gesellschaft angehen wollten. Er sei einer davon. Für mich wurde plötzlich klar: Das COC war daran, den KREIS zu überholen, ja, hatte das bereits eindeutig getan.

Das Tabu Homosexualität, bei uns so unantastbar wie die Neutralitätserklärung, sollte hier in Holland aufgebrochen werden - und die Chancen schienen nicht einmal hoffnungslos. Für mich, der ich aus dem angsterfüllten Klima der Repression in Zürich kam und davon geprägt war, waren dies atemberaubende Perspektiven.

Benno Premsela wurde ein Jahr später zum Nachfolger des zurückgetretenen Nico Engelschman gewählt. 1964 war er der erste Homosexuelle überhaupt, der sich am Fernsehen outete und offen über dieses Thema sprach. Mit seinem Coming out löste er ein gewaltiges Echo aus. Premsela blieb verantwortlicher Leiter des COC bis 1971.

Die weitere Entwicklung beschreibt Karl-Heinz Steinle in "Der Kreis: Mitglieder, Künstler, Autoren"1:

"Zehn Jahre später allerdings [also Ende der 50er Jahre, aber richtig war es 1962] wandte sich das COC unter der neuen Leitung von Benno Premsela vom Kreis ab, da es im Gegensatz zu ihm die direkte Konfrontation mit der Gesellschaft wählte. Als Dachverband für internationale Zusammenarbeit formierte sich Anfang der 50er Jahre ebenfalls in Amsterdam das International Committee for Sexual Equality, ICSE, an dessen wissenschaftlichen Kongressen in Amsterdam (1951), Frankfurt/Main (1952), Amsterdam (1953), Paris (1955) und Brüssel (1958) Rolf [Karl Meier] jeweils an der Spitze der Schweizer Delegation teilnahm. Darüber hinaus lieferte der Kreis Informationen aus der Schweiz für den internationalen homosexuellen Pressedienst, den der deutsche Journalist Johannes Werres (1923-1990) beim ICSE aufgebaut hatte."

Der Kreis berichtete regelmässig von den Kongressen.

Johannes Werres schrieb häufig auch für den Kreis. So im November 1966 "Zum 20jährigen Jubiläum des COC in Holland", mit einem Vorwort von Karl Meier / Rolf2:

"[...] Wir erinnern uns noch gerne jener Tage vor 20 Jahren, als der damalige Leiter Bob Angelo [Nico Engelschman] mit wenigen Kameraden mit dem KREIS Verbindung aufnahm, um auf einer ähnlichen Grundlage mit der Zeitschrift Vriendschap eine Kameradschaft aufzubauen."

Der Text von Johannes Werres, unter seinem Pseudonym Norbert Weissenhagen, brachte eine Zusammenfassung der Jubiläumsrede von Jan Rogier, welche dieser unter den Titel "Nur für geladene Gäste" gestellt hatte. Daraus die letzten Sätze:

"Das COC müsse gerade jetzt der Gefahr ausweichen, sich in ein Ghetto zurückzuziehen. [...] Nach innen und nach aussen darf das COC keine Vereinigung werden 'nur für geladene Gäste'."

Das war deutlich. Nur ein Jahr später war der KREIS am Ende. Einer der Gründe war wohl auch die allmählich überholte Strategie "nur für geladene Gäste".

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Ernst Ostertag, März 2005

Quellenverweise
1

Karl-Heinz Steinle: Der Kreis: Mitglieder, Künstler, Autoren, Ausstellungskatalog, Seite13, Schwules Museum Berlin, 1999

2

Der Kreis, Nr. 11/1966, Seiten 12 und 13