1960

Pressebericht

... im sozialdemokratischen Volksrecht

Am 19. November erfuhr man aus dem Volksrecht unter dem Titel "Gedanken zur Aktion 'Doppelpunkt' der Stadtpolizei":1

"Zürich ist eine 'warme Stadt' geworden. Man weiss, dass die im KREIS zusammengeschlossenen Homosexuellen regelmässige Zusammenkünfte, Kostümfeste und Bälle veranstalten. Dazu steht ihnen die der Stadt gehörende 'Eintracht' zur Verfügung.

Die Zustände sind langsam unhaltbar. Es gibt gewisse Lokale in der Stadt, in die man als 'Normalveranlagter' sich gar nicht mehr hinein getraut. Es gibt Bedürfnisanstalten, in denen Homosexuelle und Strichjungen Abend für Abend dicht beieinander stehen. Hier müsste die Stadtpolizei scharf durchgreifen."

Einmal mehr wurde der KREIS ohne seriöse Abklärung in die Öffentlichkeit gezerrt und überdies in einen Zusammenhang mit dem Treiben von Strichjungen gebracht. Dabei gab es in der "Eintracht" zu diesem Zeitpunkt nur noch tanzlose, schwach besuchte KREIS-Mittwochtreffs.

Der zweite Teil dieses Artikels widmete sich der Frage "Ist die Razzia der richtige Weg?" und stellte dabei einige bemerkenswert kritische Gedanken in den Raum:

"Wenn man mit dem Ziel der Polizei einig geht, heisst das nicht unbedingt, dass man auch den Weg, der zu diesem Ziel führt, als richtig ansehen muss. [...]

Wir wissen uns mit zahlreichen Juristen einig, wenn wir feststellen, dass die Rechtsgrundlagen für die zahlreichen Razzien der Stadtpolizei zu schmal sind. [...] In unseren Verhältnissen gehört die Razzia zu den seltenen polizeilichen Fahndungsmethoden. Es handelt sich immer um eine 'ultima ratio' [...].

Es ist nicht zu vermeiden, dass bei einer solchen Razzia auch völlig Unschuldige, die sich zufälligerweise in einem der Lokale aufhielten, mitgenommen werden. Auch diese Unschuldigen werden ohne weiteres verhaftet. Sie werden einer Prozedur unterworfen, die man als 'entwürdigend' bezeichnen muss. Sie werden auf persönliche Effekten durchsucht. Privatbriefe, Notizbüchlein und Brieftasche samt Portemonnaie werden ihnen abgenommen.

Nach den hochnotpeinlichen Untersuchungen kommt die medizinische Untersuchung am ganzen Körper und die Entnahme von Blut. Wer sich weigert, wird mit Zwang dieser Prozedur unterworfen. Dabei werden auch völlig unschuldige oder harmlose Personen so behandelt. [...]

Wenn man völlig unwidersprochen das Vorgehen der Stadtpolizei hinnehmen würde, dann wären wir von einem Polizeistaat bald nicht mehr weit entfernt. Das wünscht aber niemand. Deshalb kann man vor solchen Razzien nicht genug warnen."

Ernst Ostertag, Oktober 2005

Quellenverweise
1

Volksrecht, 19. November 1960