1960

Verleumdung

... des KREIS

In diesem Kapitel erscheint zuerst der Artikel aus der Zürcher Tageszeitung Die TAT, der bereits unter dem vorangegangenen Kapitel "Boulevardpresse" erwähnt wurde. Er trug die Überschrift "Im Sumpf der grossen Stadt". Darin berichtete der Autor "Sa" über das Stricher-Zentrum Zürich nicht nur sachlich, sondern gegen den Schluss zunehmend reisserisch und bewusst unseriös.

Eine Art von Panik schürendem "Journalismus" nahm nun Mitte 1960 seinen Anfang. Er verbreitete sich rasch und scheute selbst vor offenen Verleumdungen nicht zurück.

Derselbe Journalist der TAT outete in seinem Artikel den KREIS als Homosexuellen-Organisation, die sogar ein Lokal benütze, das der Stadt Zürich gehöre. Dann steigerte er sich in die krasse Verleumdung, es seien dort regelmässig Stricher anwesend. Der letzte Satz hiess:

"Die Behörden müssen handeln, bevor es zu spät ist."

Diese Lüge und Verleumdung liessen sich weder der KREIS noch etliche der Abonnenten bieten. Sie schrieben der TAT-Redaktion und kündigten ihr persönliches Zeitungs-Abonnement oder ihre Firmen-Inserate. Der KREIS schaltete seinen Rechtsberater ein und veröffentlichte im Heft einen Protest-Musterbrief als Anregung zu einer eigentlichen Briefaktion.

Auf den TAT-Artikel - und andere, ähnliche - reagierten die Behörden. Der Zürcher Stadtrat erliess ein Tanzverbot, das ausschliesslich für den KREIS in seinem Lokal "Eintracht" galt. Die "Eintracht" ist - noch heute - städtischer Besitz, Beanstandungen gab es bisher nie.

Ein Schildbürgerstreich, echt Seldwyla, denkt man. Aber nein, die Lage war ernst und bitter. Denn das Verbot traf den KREIS ins Mark. Die grossen Festanlässe mussten abgesagt werden. Sie jedoch waren die wichtigste Geldquelle der Organisation.

Die Wut war gross. Sie äusserte sich ungebremst an einem KREIS-Diskussionsabend. Auch Trauer kam dazu, denn einmal mehr entzog man uns, was für alle anderen selbstverständlich war.

Doch die anfängliche Solidarität fand rasch ihre Grenzen, etwa beim Äufnen des Baufonds für ein eigenes Lokal. Den Mittwochtreffs ohne Tanz fehlte Leben und Geselligkeit. Rein literarisch-künstlerische Programme konnten das nicht ändern.

Karl Meier / Rolf sah das Erlöschen der Tanz-Tradition und den Besucherrückgang bei den Mittwochtreffs mit Wehmut und Enttäuschung. Es waren die Jüngeren, von denen viele nun nicht mehr mitziehen wollten. In seinem Epilog nannte er den eigentlichen Grund der misslichen Lage: das erneute Auflodern der uralten Ächtung, die den Homosexuellen zum Verfemten macht. Doch selbst darin gab es für ihn die jedem einzelnen zugewiesene Möglichkeit:

"Uns ist eine andere Lebensform aufgetragen, und es braucht nichts anderes, als diese Aufgabe menschlich sauber zu lösen. Mehr nicht."

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Ernst Ostertag, Oktober 2012