Hans H.: Zeitzeuge

... Aussage eines "Tratschweibes"

Der dritte Bericht im hey trug den Titel "Erinnerungen eines Zürchers" - wiederum war sein voller Name nur der Redaktion bekannt:1

"Hans erhielt [1965] einen Anruf der Stadtpolizei, die sich nach einem Italiener namens A.C. erkundigte und fragte, ob dieser Untermieter bei ihm sei. Hans nahm an, es handle sich um das Einbürgerungsgesuch seines Freundes und freute sich auf ein positives Gespräch. 'Wo ich vorsprechen solle [...]. Auf der Hauptwache, Büro 326, bei Herrn Bock' (der Beamte hiess nicht so, aber ähnlich). 'In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen', erklärte ich und machte mich auf den Weg.

Am Ort ging ich durch viele Gänge und über Treppen hoch und schliesslich ganz zuhinterst stand an den Türen 'Sittenpolizei' und hier fand ich zu meinem Erstaunen das Büro 326. [...] 'Ja, jetzt sind Sie auf der Sittenpolizei', eröffnete Kommissar Bock das Gespräch. [...] Ich solle zugeben, dass ich homosexuell sei, verlangte der Mann. Ich war wie vom Blitz getroffen [...] und wusste nicht, wie ich mich verhalten solle. Als kantonaler Beamter musste ich befürchten, meine Stelle zu verlieren, wenn meine Homosexualität in Polizeiakten vermerkt wurde. Auch sah ich das Schweizer Bürgerrecht für meinen Freund auf Nimmerwiedersehen davonschwimmen.

Ob ich einen Advokaten als Beistand zuziehen dürfe, fragte ich ängstlich, um Zeit zu gewinnen [...]. 'In diesem Stadium der Einvernahme nicht', erklärte Herr Bock. Ich bin ungeschickt im Lügen, und Kommissar Bock war geübt im Herauspressen von Geständnissen. - Drei Minuten später hatte ich schon zugegeben, den Mann, mit dem ich in einer Wohnung zusammenlebte, zu lieben.

[...] Schliesslich erfuhr ich auch, aus welchem Grund ich aufs Büro 236 gelockt worden war. Eine Frau im Nachbarhaus, ein schreckliches Tratschweib, war wegen einer ganz anderen Sache mit einem Polizisten ins Gespräch gekommen. Dabei hatte sie ganz nebenbei eine Bemerkung fallen lassen,

'im Haus da drüben, da wohnen übrigens zwei Männer in einer Wohnung. Die müssen doch schwul sein, weil sie nie eine Frau hinaufnehmen.'

Sie hatte unsere Namen genannt. Als ich meine Verwunderung darüber äusserte [...], antwortete Bock:

'Wir sind verpflichtet, jeder Meldung, die uns zu Ohren kommt, gerade auf diesem Gebiet besonders sorgfältig nachzugehen.' -

Ob ich mit dem Chef, Herrn Dr. Witschi, sprechen wolle. [...] Der Name Witschi war mir nicht unbekannt. Rolf, der Leiter [...] des KREIS hatte mir erzählt, dass der (damalige) Chef der Zürcher Sittenpolizei, Dr. Witschi, gegenüber unauffälligen und nicht straffälligen Homosexuellen eine einigermassen sachliche und vernünftige Haltung einnehme. Trotzdem verspürte ich im Augenblick kein Verlangen danach, [...] dem Boss der Sitte vorgeführt zu werden. [...]

Ich hoffte, das peinliche Verhör gehe endlich seinem Ende entgegen. Aber es fing nun erst richtig an. Bock zog aus der Schublade ein Foto und fragte: 'Wissen Sie etwas von dem?' Ich nickte. Es war das Bild eines Postangestellten [Heinrich Gähler], der viele Jahre zuvor unter grausigen und nie geklärten Umständen ermordet worden war. [...] Das Bild war damals in jeder Zeitung gewesen. 'Was wissen Sie von ihm?' forschte der Kommissar und sah mir scharf in die Augen. Als er erfuhr, dass ich den Mordfall nur aus Zeitungsberichten kannte, [...] legte er das Foto mit müder Hand zurück in die Schublade. [...]

Plötzlich blickte er auf die Uhr an der Wand. Die Einvernahme hatte schon mehr als eine Stunde gedauert. 'Wir müssen ja noch die Fingerabdrücke nehmen!' sagte er. Ob das wirklich nötig sei, nachdem doch absolut nichts gegen mich vorliege, wagte ich einzuwerfen. Er habe Order, von jedem Homo die Fingerabdrücke zu nehmen, erklärte Bock, 'nötigenfalls unter Anwendung von Gewalt!' Nun, darauf wollte ich es nicht ankommen lassen im 3. Stock eines Hauses voller Polizisten. Sollte ich später aber allenfalls wieder einmal mit der Polizei zu tun bekommen und gefragt werden, ob mir schon einmal die Fingerabdrücke genommen worden seien, solle ich unbedingt mit nein antworten, schärfte mir Bock ein. [...] Meine Fingerabdrücke kämen [...] nicht in die allgemeine Verbrecherkartei, sondern in ein spezielles Register. [...]

Bock führte mich durch Korridore, treppauf, treppab. [...] Dann drängte er mich in den Raum, wo die 'Finger genommen' werden. [...] Ich empfand es als eine böse und ungerechte Demütigung, wie ein Verbrecher durch die Untersuchungsmühle gedreht zu werden, obwohl ich überhaupt nichts Ungesetzliches getan hatte. [...]

Wie ich aus dem Polizeihaus [...] wieder hinauskam, weiss ich nicht mehr. Ich weiss nur, dass Tags darauf mein Freund sich auf der Hauptwache melden musste, um die gleiche Prozedur über sich ergehen zu lassen. Wenige Tage später besuchte mich mein Chef, den ich höchst selten zu Gesicht bekomme, an meinem Arbeitsort. Er stellte mir ein paar verfängliche Fragen und liess durchblicken, er sei über meine Homo-Veranlagung im Bild. Weitere Konsequenzen hatte es keine."

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Ernst Ostertag, November 2005

Quellenverweise
1

hey, Nr. 3/1979, ab Seite 12