1960/1961

Repressives Zürich

... Testergebnisse, "Volksgefahr"

Der Landbote, Winterthur, berichtete über die Testergebnisse der Aktion "Doppelpunkt":1

"Die Zahlen des Stadtarztes liegen vor, der 69 Personen untersucht hatte. Davon waren sieben Personen syphilitisch erkrankt, in zwei Fällen wurde eine positive Blutserumreaktion und in einem Fall eine gonorrhoische Erkrankung festgestellt. Somit waren [...] 14,4 Prozent der Untersuchten geschlechtskrank oder verdächtig. [...]

Im Jahr 1958 konnten aus 325 Untersuchungen an Dirnen kein einziger Syphilisfall und 1959 nur zwei Fälle festgestellt werden. Wie ansteckungsgefährlich die geschlechtskranken Strichjungen und Homosexuellen sind, zeigt nach Ansicht des stadtärztlichen Dienstes die Zahl der Neuinfektionen. So kamen in diesem Jahr bisher 19 Männer wegen Neuinfektionen in die städtische Poliklinik zur Behandlung.

Diese wenigen Zahlen zeigen deutlich, wie wichtig der polizeiliche Kampf gegen das Strichjungen-Unwesen und die damit verbundenen Geschlechtskrankheiten ist."

Die NZZ berichtete ebenfalls von 19 Neuinfektionen "davon waren 11 Homosexuelle" und schloss ihren Bericht "Das medizinische Ergebnis der Aktion 'Doppelpunkt', der Polizeivorstand der Stadt Zürich teilt mit":2

"Diesen Ausführungen [des stadtärztlichen Dienstes] kann seitens der Polizei nur beigepflichtet werden. Ohne Berücksichtigung des noch ausstehenden strafrechtlichen Ergebnisses ist daher heute schon zu sagen, dass allein das medizinische Untersuchungsergebnis die Notwendigkeit der durchgeführten Aktionen vor Augen führt.

Die Polizei ist sich dessen bewusst, dass Razzien im allgemeinen unbeliebt sind. [...] Anderseits muss man sich aber im klaren darüber sein, dass mit diesem Mittel unbedingt schneller und sicherer gehandelt werden kann. Es geht schliesslich um das wertvolle Gut der Gesundheit der Bevölkerung, die von den erwähnten Kreisen her gefährdet wird."

Der Blick vom 3. Februar 1961 setzte den grossen Titel: "Aktion. Jeder zehnte Untersuchte hatte die Syphilis, Schlaglicht auf eine drohende Volksgefahr" und fuhr dann weiter:

"Sehr erfolgreich waren die Aktionen 'Punkt' und 'Doppelpunkt', welche die Zürcher Polizei im Juli und November 1960 gegen die Homosexuellen unternahm. Das gab Stadtrat Sieber am Donnerstag bekannt.

[...] Die Syphilis bedroht die Volksgesundheit: kranke Homosexuelle stecken Strichjungen an, welche ihrerseits sehr oft mit leichten Mädchen verkehren und die Krankheit auf diese übertragen. Angesteckte Dirnen übertragen die Syphilis dann auf normale Menschen. Eine furchtbare Gefahr!"

Solche Meldungen drängen gefährdete Personen ins Abseits und begünstigen die Ausbreitung der Krankheit im Untergrund. Diese Erkenntnis setzte sich erst mehr als 20 Jahre später durch, als Aids auch in der Schweiz angekommen war und gewisse Zeitungen ebenso unreflektiert auf Sensation und Panik machten.

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Ernst Ostertag, November 2005

Quellenverweise
1

Der Landbote, 28. November 1960, Nr. 279

2

Neue Zürcher Zeitung, 26. November 1960, Nr. 4158