1979

Anfrage Winterthur

… an die Stadtpolizei

So sandten denn Marcel Ulmann und Jürg Wehrli am 23. Februar 1979 ein Schreiben an das Polizeikommando der Stadt Winterthur, zuhanden des Kommandanten. Sie schrieben im Namen aller drei Organisationen, SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen), HAZ (Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich) und HFG (Homosexuelle Frauengruppe Zürich) und setzten den Betreff  "Homosexuellen-Register der Stadtpolizei Winterthur":

"[...] Wie Ihnen sicher bekannt ist, hat die Stadtpolizei Zürich ihr Homosexuellen-Register [...] aufgegeben und vernichtet [...].

Uns ist bekannt, dass auch die Polizei in Winterthur gezielt Personen kontrolliert und systematisch ein solches Register führt. [...] Wir haben deshalb einige Fragen [...], um deren Beantwortung wie Sie [...] bitten:

Seit wann führt die Stadtpolizei Winterthur ein Homosexuellen-Register?

Wie schätzt die Stadtpolizei den Wert dieses Registers ein, d.h. wozu führt sie es?

Welches sind die Rechtsgrundlagen, auf die sich die Stadtpolizei bei der Führung dieses Registers beruft?

Wie lauten die Dienstanweisungen, welche für den einzelnen Polizeibeamten objektive Richtlinien aufstellen, wer zu registrieren sei und wer nicht?

Wie gelangt die Stadtpolizei zu den entsprechenden Informationen?

Arbeitet die Stadtpolizei diesbezüglich mit der Kantonspolizei zusammen oder ist Ihnen bekannt, ob die Kantonspolizei ein unabhängiges Register dieser Art führt?

Wie stellt sich die Stadtpolizei vor, dass mit ausschliesslicher Sicherheit festgestellt werden kann, ob eine registrierte Person tatsächlich homosexuell ist, oder ist es auch möglich, dass nicht-homosexuelle Personen registriert werden?

Welcher Personenkreis hat Zugang zum Register und wem werden entsprechende Eintragungen bekannt gegeben?

Welches ist der zahlenmässige Umfang der bisher gehabten Registrierungen? [...]"

Die Antwort wurde im Namen des Kommandanten verfasst und von ihm unterzeichnet:1

"[...] Anfangs der 70er Jahre gingen sowohl bei uns, als auch beim Stadtrat eine laufend anwachsende Zahl mündlicher und schriftlicher Beschwerden aus der Bevölkerung ein, weil sich [...] im Stadtpark [...] ein Homosexuellen-Treffpunkt gebildet hatte. [...]

Selbst im Parlament begannen Vertreter verschiedenster Parteien sich mit dem für Winterthur bis anhin wenig relevanten Phänomen zu befassen. Die Polizei erhielt den ausdrücklichen Auftrag, in Zusammenarbeit mit dem städtischen Elektrizitätswerk für eine bessere Ausleuchtung [...] besorgt zu sein und die Zivilpatrouillen- und Kontrolltätigkeit [...] zu intensivieren. Dabei mussten wir feststellen, dass der [...] Stadtgarten [...] zu einem Treffpunkt für Leute geworden war, deren Wohnorte über die ganze Ostschweiz und sogar den süddeutschen Raum verteilt waren.

Als bekannt wurde, dass Personen nach mehrmaliger Überprüfung und eindeutiger Identifikation registriert wurden [...] nahm die Frequenz langsam aber stetig ab. [...] Nachdem die Reklamationen praktisch versiegten, ist die [...] Kontrolle [...] reduziert und die in ihrem Umfang relativ bescheiden gebliebene Kartei liquidiert worden. [...]

Sollte der Stadtgarten - oder eine andere Region unseres Gemeindegebietes - [...] erneut zu einem von der Bevölkerung als belästigend empfundenen 'Treffpunkt' werden [...] müssten wir [...] wiederum entsprechende Massnahmen prüfen und auch realisieren."

Man durfte also davon ausgehen, dass es in Winterthur kein Homo-Register mehr gab und auch keines mehr geführt wurde. Das lag nun immerhin schriftlich und vom Kommandanten beglaubigt vor. Allenfalls konnte man jederzeit darauf zurückkommen.

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Ernst Ostertag, Mai 2007

Quellenverweise
1

datiert am 29. März 1979