1976-1984

Repressive Kreise

... und wie man sich dagegen wehrt

Dass auch linke Kreise repressiv gegen Schwule sein konnten, erfuhr die HAB in den späteren 70er-Jahren:1

"Im September 1976 hatte die SP Muri-Gümligen die Idee, die HAB zu einem 'Septämberplousch' einzuladen. Leider krebste der Wahlausschuss aus Angst vor Wählerverlusten in den bevorstehenden Wahlen zurück und liess die Schwulenvertreter wieder ausladen. Eine Reihe von HAB Aktivisten ging dennoch nach Muri und demonstrierte im Festsaal [...]. Die HAB protestierten mit einem Flugblatt 'Der Rausschmiss, reaktionäre Politik?' im Hinblick auf einen empfindlichen Punkt der staatstreuen Bernischen Sozialdemokratie:

'Wenn nichts über Schwierigkeiten und Entlassungen homosexueller lohnabhängiger Frauen und Männer bekannt wird, liegt das am homosexuellenfeindlichen Terror, schon in der Erziehung, und im Unterbinden jeglicher Information. Wen wundert also das erzwungene und demütigende Versteckspiel fast aller Homosexuellen am Arbeitsplatz, am Ausbildungsort, in der Öffentlichkeit, in der Armee, innerhalb der Partei? Müssen homosexuelle Frauen und Männer befürchten, von SP-Parteimitgliedern und Gewerkschaftlern im Stich gelassen zu werden?'

Die Berner Tagwacht vom 30.9.1976 verschwieg [in ihrem Bericht über Muri-Gümligen] den Protestauftritt der HAB geflissentlich.

Ähnlich schlecht weg kam im Februar 1977 die gewerkschaftsnahe 'Volkshaus AG', als deren Verantwortliche den HAB, welche die Miete eines Saales für einen Filmzyklus begehrten, grobschlächtig eine Abfuhr erteilten.5 Der Vizedirektor dieser Volkshaus AG [...]:

'Im Übrigen werde man lieber von einigen Schwulen angegriffen als von der Mehrheit. Der Rest der Gesellschaft sei stärker, die Schwulen schwächer und darauf nehme man Rücksicht.'

Es entspann sich darauf zwischen einer spontanen Sammlungsbewegung linker Gruppen und dem Gewerkschaftskartell eine Kontroverse [...]. Alt Gewerkschaftskartell-Präsident Ernst Strahm, lang bewährt im erfolgreichen Denunzieren von Linksabweichlern, wetterte wo er nur konnte über die Homos."

Gegen alteingesessene Vorurteile in Köpfen von alteingesessenen Linksetablierten gab es nur eines: Als progressive Kandidaten bei Wahlen einzusteigen:2

"Offene Kandidaturen von HAB-Mitgliedern für die bernischen Stadt-, Gross- und für den Nationalrat [Parlamente von Stadt, Kanton und Eidgenossenschaft] wurden auf der Liste der Progressiven Organisationen (POCH) möglich, wobei auch die POCH vor Zensurversuchen der HAB-Werbung nicht zurückschreckten."

1980 schaffte es der Kandidat Nik auf der POCH-Liste trotzdem

"auf den 9. Rang der 34 POCH-Kandidaten und erzielte den fünfthöchsten Anteil von Frauenstimmen"

unter allen anderen und erhielt "viele, mutmasslich 'schwule' und bürgerliche Panaschierstimmen". Der Rückstand auf den Letztgewählten betrug bloss 360 Stimmen.

"Im April 1982 sagte er als erster offen schwuler Grossratskandidat der POCH zu seiner in den HAB ein wenig beargwöhnten momentanen Präferenz der Lederszene [...]: 'Ich kandidiere ja nicht unter dem Motto Wir sind ja gar nicht anders als Ihr, sondern ich behaupte: Wir sind schwul und wir sind anders und wir können Sachen, die Ihr nicht könnt und die wollen wir auch nicht aufgeben!' "

Beim Kandidaten Nik handelte es sich um den bekannten und geschätzten Niklaus Debrunner (1953-1986). Sein Freund war der ebenso bekannte Künstler Marc Philippe Meystre. Später beschrieb er den langen Abschied von Nik im Buch AIDS - Andere Inseln Deiner Sehnsucht, Rotpunkt Verlag, Zürich 1990. Ein Jahr vor Erscheinen des Buches gab er sich selber den Tod, "weil er es nicht mehr aushielt", denselben Zerfall noch einmal - nun an seinem eigenen Körper - durchzuleiden.

Wir (Röbi Rapp und Ernst Ostertag) haben Marc und Nik bei ihren erfolgreichen "Konzertreihen Junkerngasse 43" kennen gelernt, denn die Besitzer des Hauses, in dessen Keller die Konzerte stattfanden, sind unsere besten Hetero-Freunde. Die beiden Künstler gründeten und leiteten auch die KIKO, Kinderkonzerte, welche rasch beliebt wurden. Nik spielte Violine und Marc sass am Cembalo.

Laut Einladung der HACH zu den Diskussions- und Skitagen vom 29. Dezember 1977 bis 2. Januar 1978 zeichneten beide, Nik und Marc, als Mitglieder des HAB-Vorstandes.

"Die Inseratenstelle der Berner Zeitung hatte im Nationalratswahlkampf 1983 anfänglich ein Inserat des bei der POCH aufgestellten HAB Kandidaten Hansruedi Huwiler mit der Begründung zurückgewiesen, sie publiziere schliesslich auch keine Anzeigen für Massagesalons. Erst eine saftige Demarche der HAB förderte eine in der Berner Zeitung publizierte Entschuldigung zutage."3

Das waren mutige Anfänge. Und sie ebneten neue Wege.

Im Juni 1984 besuchte Papst Johannes Paul II die Schweiz. Seine Rückwendung in Wort und Tat zu überwunden geglaubten Traditionen und Lehrmeinungen - auch was Homosexualität betrifft -, veranlasste viele - und nicht nur Schwule - gegen diesen Staatsbesuch zu demonstrieren. Zur Stimmung in dieser Zeit:4

"Gegen den Papstbesuch seiner Heiligkeit Woytila stellte man erneut eine ideologische Argumentationsweise für die Schwulenemanzipation und gegen Zwangsheirat und Schwulenverdammung bereit. Das katholische HAB-Mitglied M. erzielte im Fernsehen DRS einen totalen Publikumserfolg, als er bei dieser Gelegenheit den Delegierten der Schweizerischen (kath.) Bischofskonferenz am Bildschirm in stotternde Wut versetzte. Er hatte einfach sanft festgestellt, just der historische Jesus sei doch gerade für Christen wie für Schwule mit seiner Fähigkeit, junge Männer in einer liebesbetonten Bindung um sich zu scharen, ein wunderbares Vorbild und auch eine schwule Identifikationsperson."

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Ernst Ostertag, Oktober 2006

Quellenverweise
1

Erasmus Walser, Unentwegt emanzipatorisch, Vereinsgeschichte 20 Jahre HAB, 1992, Seite 12

2

Erasmus Walser, Unentwegt emanzipatorisch, Vereinsgeschichte 20 Jahre HAB, 1992, Seiten 19 und 20

3

Erasmus Walser, Unentwegt emanzipatorisch, Vereinsgeschichte 20 Jahre HAB, 1992, Seite 20

4

Erasmus Walser, Unentwegt emanzipatorisch, Vereinsgeschichte 20 Jahre HAB, 1992, Seite 22

Anmerkungen
5

Der Filmzyklus fand dann im Kino Eiger statt, siehe unter "Widerstand".