1973

HAZ subversiv?

Links, aber nicht nur…

Im HAZinfo Nr. 4 vom Februar 1973 wies die Redaktion (drei Studenten der Arbeitsgruppe Psychologie), wie schon in Nr. 3 vom Dezember 1972, auf die Vortragsreihe hin, von der sie Impulse erhofften in Richtung auf "konkrete Utopien" für die Zukunft "und unseren utopischen Raum - die befreite Gesellschaft". So formulierten sie es im Editorial.1

Über einen Aufsatz in der Basler Abend-Zeitung (AZ) kam ihnen ein Index der Wirtschaftsförderung (wf) in die Hände, was Urs Bossart zu einer Replik mit grundsätzlichen Fragestellungen und Überlegungen benützte. Er publizierte sie unter dem Titel "Betreiben wir subversive Tätigkeit?"2

Denn im Index waren die "verdächtigen FBB und HAZ" unter anderen subversiv tätigen "linken" Gruppen angeführt, weil diese beiden "den Kampf gegen noch verbreitete Vorurteile gegen Homosexuelle aufgenommen und überdies eine Vortragsreihe an der Universität" organisiert hatten.

Urs schloss, dass wirtschaftlich einflussreiche und politisch konservative Kreise mit ihren Organisationen wie Schweizer Aufklärungsdienst (SAD), Verein zur Förderung des Wehrwillens, Redressement National, Aktion für Demokratie, Schweizerisches Ost-Institut (SOI) usw. die Meinungsfreiheit einschränken und den eben erst angelaufenen Bewusstwerdungsprozess in Fragen der Sexualität ersticken möchten. Daher - und weil diese Organisationen als einflussreich und finanzstark gelten - seien sie eine sehr ernst zu nehmende Gefahr. Er zog daraus die Konsequenz einer nun aktiv zu fördernden politischen Bewusstseinsbildung innerhalb der HAZ. Der Artikel "Theoriekommission tut not" machte auf den möglichen nächsten Schritt aufmerksam.

Diese beiden Artikel und die Positionierung der HAZ als politisch linksaktive Gruppe führte zu Reaktionen und Leserbriefen, die im HAZinfo Nr. 5 vom April 1973 viel Raum einnahmen.3 Mit dieser Nummer wechselte das Format zum handlich kleinen A5. Zudem war das Heft gedruckt und nicht mehr hektographiert. Unter "Links oder ein kurzer Versuch zur Klärung eines Begriffs" schrieb der Leser F.R.:4

"Zweifellos stellt jeder Versuch, eine gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung herbeizuführen, einen politischen Akt dar, und dies unabhängig vom Gegenstand. [...] Die Frage ist nur, [...] bezogen auf den konkreten Fall der Homosexualität, welcher Begriff unseren Bestrebungen gerecht wird.

Sehr hoch im Kurs scheint gegenwärtig der Terminus 'links' zu stehen. Doch ist er nicht unumstritten, und, wie ich meine, zu Recht. Entstanden auf Grund einer mehr oder weniger zufälligen Sitzordnung im französischen Revolutionsparlament vor bald zweihundert Jahren [...] entstammt er dem politischen Ringen um Vorherrschaft und ist daher, genau wie sein Gegenpol 'rechts', je nach Gesinnung negativ vorbelastet. Unser Endziel liegt aber nicht im Bereich der Machtpolitik. Deshalb sollten wir bedenken, ob wir, indem wir uns mit der Linken identifizieren, nicht einer verhängnisvollen Illusion anhängen [...]. Denn die Linke stand, auch wenn sie zuweilen verfolgt wurde oder es heute noch wird, nie unter einem gesellschaftlichen Tabu. [...] Ist es nicht vielmehr so, dass das Phänomen der Homosexualität alle Schichten und politischen Gruppierungen in zwei Lager spaltet [...]? Die Lösung unserer Probleme liegt nicht a priori links. [...] Vorurteile sind weder an Klassen noch Rassen gebunden. [...]"

Es folgte ein weiterer Leserbrief von Hans, dem Leiter des Release. Er setzte den Titel "Schwule Sektiererei?" und versah ihn mit dem Zusatz "Plädoyer für nicht nur linke HAZ":5

"[...] Was soll’s da heissen, wenn wir im letzten HAZinfo schwarz auf weiss lesen: 'Wir stehen links'? [...] Typischer ist offenbar die Feststellung, dass die Regelung des französischen Strafgesetzbuches von 1810 vor allem in Staaten des romanischen Rechtskreises übernommen wurde. Der früher stets auffallende Gegensatz zwischen dem in der Praxis toleranteren Süden gegenüber dem puritanischen, vorwiegend protestantischen Norden dürfte da viel bedeutungsvoller sein. [...]

Politische Glaubensbekenntnisse sind - ebenso wie religiöse - im allerletzten nicht vernünftig begründbar - sie bleiben eben Glaubensbekenntnisse. Deswegen sind sie nicht gering zu achten. Wenn nun 'links' engagierte Schwule in den HAZ mitarbeiten und dabei 'linke' Meinungen vertreten und 'linke' Strategien entwickeln, so leisten sie unserer Sache einen wertvollen Dienst, und jedes Vereinsmitglied wird das dankbar anerkennen. Nur muss nach innen und nach aussen klar bleiben:

  1. In unserem Verein arbeiten auch Aktivmitglieder mit, die politisch 'rechts' stehen und deren politisches Glaubensbekenntnis vom Verein als ganzem ebenso respektiert werden muss. Respektiert, nicht toleriert: eine gute Gelegenheit zu zeigen, was wir meinen, wenn wir anderswo betonen, mit blosser Toleranz sei es nicht getan. [...]
  2. Wer glaubt, im Kampf für unsere Emanzipation politisch rechts - oder links - extreme Standpunkte vertreten zu müssen, muss wohl bedenken, wie die faschistische und wie die marxistische Wirklichkeit für den Homosexuellen bis heute aussieht.
  3. In unseren konkreten schweizerischen Verhältnissen kann eine Emanzipationsbewegung nur erfolgreich sein, wenn sie auf die Vielfalt unserer Wirklichkeit Rücksicht nimmt. Das muss nicht der 'politisch neutrale Verein' sein, wenn das den Verzicht auf Politik bedeuten sollte, vielmehr die 'politisch polymorphen' HAZ. [...]"

Ernst Ostertag, Juli 2006

Quellenverweise
1

HAZinfo, Nr. 4, 9. Februar 1973

2

HAZinfo, Nr. 4, 9. Februar 1973, Seite 9

3

HAZinfo, Nr. 5, April 1973

4

HAZinfo, Nr. 5, April 1973, Seite 10

5

HAZinfo, Nr. 5, April 1973, Seite 12