1995/1996

Arbeitsmappe Bern-Jura

Gleichgeschlechtlichkeit

Im Herbst 1995 begannen die reformierten Kirchen Bern-Jura mit der Herausgabe von Texten zum Thema "Kirche und Gleichgeschlechtlichkeit".1 Der ersten Abteilung solcher Texte war ein Vorwort des Synodalrats vorangestellt.2

Dann folgte ein erster vom September 1995 bis Januar 1996 verfasster und in fünf Kapitel gegliederter Text mit der Überschrift "Kirche und Gleichgeschlechtlichkeit, Aufbruch in den reformierten Kirchen Bern-Jura, eine Antwort auf viele Zuschriften". Einige Sätze aus dem 1. Kapitel:

"[...] Wie die meisten Kirchen brauchte auch die unsere den Anstoss durch Ereignisse, um sich ernsthaft an die Bearbeitung des Themas zu machen. [...] Am 8. Juli fand in der Nydeggkirche die angekündigte Segnungsfeier statt. Zum Bedauern des Synodalrates hielt sie sich nicht im weit interpretierten Rahmen der Kirchenordnung, sondern imitierte weitgehend eine Trauung. Pfr. Bäumlin erklärte sich nach einer Unterredung mit dem Synodalrat bereit, allfällige künftige Feiern im Sinne der Weisung des Synodalrats neu zu gestalten, obwohl diese für sein Empfinden zu eng sei."

Im 2. Kapitel, "Zielrichtung des Synodalrats", standen progressive Ansichten der ebenso klar formulierten kirchlichen Realität gegenüber, beides sollte "in Christus" vereinbar sein:

"Die bisherige Haltung des Totschweigens und Vertuschens entspricht nicht dem Evangelium. Dass Kirchen sich der früheren Diskriminierung und Verfolgung der Homosexuellen nicht entgegenstellten, sie da und dort3 noch förderten, kann nicht akzeptiert werden.

Es ist jetzt Zeit, dass unsere Kirche sich offen der Frage stellt, wie sie sich im Geiste Jesu Christi ihren gleichgeschlechtlich empfindenden Mitgliedern gegenüber verhalten will.

Es genügt nicht, dass Christen als Einzelne beteuern, sie würden Gleichgeschlechtliche nicht verurteilen. Die Gemeinde Christi soll sich als Kirche auch dieser Minderheit zuwenden, ihre Mitarbeit am Reiche Gottes anerkennen und für sie Raum im gottesdienstlichen Leben schaffen.

[...] Der Synodalrat ist sich bewusst, dass seine Zielrichtung von manchen Kirchengliedern nicht gutgeheissen werden kann. Die Frage ist ein Testfall für unsere Überzeugung, dass Meinungsvielfalt der Einheit in Christus keinen Abbruch tun muss. [...] Die Stärke der Landeskirche ist es, Meinungsvielfalt nicht zugunsten einer Einheitsmeinung zu unterdrücken. [...] Die Landeskirche ist nicht ein Verein von Gleichgesinnten. Unsere Einheit ist Christus."

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Ernst Ostertag, Oktober 2007, Ergänzungen Februar 2009

Quellenverweise
1

Bezugsquelle: Evang.-ref. Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Zentralverwaltung, Fachbereich Theologie, Bürenstr. 12, Postfach, 3000 Bern 23

2

datiert vom 9. Oktober 1995

Anmerkungen
3

Das "da und dort" wirkt auf Homosexuelle wie blanker Hohn angesichts dessen, was die Kirchen ihnen angetan haben seit es eine Kirche gibt - und zeigt zugleich die fast unüberwindbare Angst vor einer echten Aufarbeitung dieser Geschichte, wie sie am Anfang jeder christlich liebevollen Hinwendung und Anerkennung homosexueller Mitchristen unbedingt geleistet werden müsste. Es wird in Zukunft wohl einfacher bleiben, schwule Lebensweisen weiter zu verdammen, als der Geschichte ins Auge zu sehen. Und darum kann dieses Ansetzenwollen des Berner Synodalrates - trotzdem - nicht hoch genug gewertet werden.