Kritische Bemerkungen

Erlahmender Elan

Die "Beilage A" des Synodalrats der evanglisch-reformierten Kirche Bern-Jura trug den Namen "Homosexualität und Kirche". Sie enthält - erstmals so klar formuliert - sehr gute, echt christliche Ansätze.

Doch die HuK ist nirgendwo in der ganzen synodalen "Arbeitsmappe" erwähnt. Ihr Name ist anders, nicht "Homosexualität und Kirche" steht im Vordergrund, sondern der homosexuelle Mensch: "Homosexuelle und Kirche".

Wenig erstaunlich ist es daher, dass niemand von der HuK zur Arbeit des Synodalrats beigezogen wurde, obschon darin festgehalten ist, die Kirche "brauchte den Anstoss durch Ereignisse, um sich ernsthaft an die Bearbeitung dieses Themas zu machen".

Diese "Ereignisse" waren unter anderem die Trauung eines Männerpaares in der Nydeggkirche. Darauf wurde einleitend angespielt. Ehrlicherweise hätte auch die HuK erwähnt werden müssen. Aber man sah wahrscheinlich die HuK als Kind des "Zeitgeistes", auf den man - "nachhaltige, christliche Lösungen" gefährdend - nicht "vorschnell aufspringen" wollte.

War die HuK demnach ein zu weit und vor allem zu rasch vorpreschender Störfaktor, ein letztlich heilsamer Stachel im Fleisch?

Die HuK Schweiz ist von jungen und engagierten Christen gegründet und getragen worden, beseelt vom Idealbild einer Kirche, die ebenso rasch zum Wandel fähig wäre wie das die zunehmende Veränderung der weltlichen Gesellschaft erhoffen liess.

Diese Christen setzten sich mit grösstem Eifer ein und steckten Ausgrenzungen weg im Wissen, die umfassende Liebe Christi auf ihrer Seite zu haben. Selbst die grausamen Einbrüche von AIDS erlitten und ertrugen sie in der sicheren Hoffnung auf eine baldige Öffnung kirchlicher Pforten.

Jedoch konkret und auf breiter Basis geschah bis zum Ende des Jahrhunderts nichts; etwas Bewegung in gewissen Gremien war zu wenig. Der Eifer erlahmte. Alles nur Illusion? Bestenfalls Samen, die später einmal aufgehen mochten? (Und auch da und dort aufgingen, was in einigen Kirchgemeinden heute festzustellen ist.)

Geschichtlich gesehen ist die Stigmatisierung der Homosexualität durch die christliche Religion und ihre Kirche(n) von frühester Zeit an eine mit wenigen örtlichen Unterbrüchen über zumindest 15 Jahrhunderte fortgesetzte Tatsache. Sie hinterliess entsprechend tiefe Spuren in allen kirchlichen Belangen und (stets vom Kircheneinfluss ausgehend) ebenso tiefe Spuren im Rechtsverständnis und im Bewusstsein aller Bevölkerungsschichten.

Dieses dunkle Erbe kann nicht innerhalb von zehn bis zwanzig Jahren anerkannt, geschweige denn aufgearbeitet und überwunden werden. Schon gar nicht, wenn Gruppen wie die evangelikalen Freikirchen, die Gemeinschaften und Sekten, wenn grosse Organisationen wie die römisch-katholische Kirche und alle orthodoxen Kirchen sich dagegen verschliessen und homosexuelle Liebe unbeirrt als Sünde und teuflisches Tun brandmarken.

Trotzdem haben, wie weiter oben dargelegt, einige der kantonalen evangelisch-reformierten Landeskirchen Bedeutsames formuliert und wirkliche Schritte gewagt. Ohne das hartnäckige Anklopfen und mutige Vorausdenken jener Mitchristen der HuK wären diese Ansätze und Schritte wohl kaum erfolgt, sicher nicht so - partiell - relativ früh.

Medienwirksamer und dezidierter als es die HuK in ihrem Sektor tun konnte, haben die vielen anderen, die "weltlichen" schwulen und lesbischen Organisationen mit ihrem gebündelten Druck auf den Rechtsstaat unübersehbare Veränderungen herbeigeführt: nationale Aids-Hilfe und Aids-Prävention, Strafgesetzreform, das Partnerschaftsgesetz.

Diese Ereignisse und ihre Publizität bedeuteten auch Konkurrenz und Reformdruck für jene Kirchen, die sich nicht nur "Landeskirchen" nennen, sondern es auch ernsthaft sein wollen. Und die Konkurrenz-Situation besteht noch immer.

Denn heute ist der Staat den Kirchen um einiges voraus. Dies mit der problemlosen Akzeptanz offen schwuler Angestellter und Politiker bis in höchste Ämter. Aber auch mit der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften bei Ziviltrauungen, wo alle bisher kirchlichen Trauungs-Rituale mit einbezogen werden können, sofern erwünscht. 

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Ernst Ostertag, Oktober 2007, Ergänzungen Februar 2009.