1995-1998

Zeitgeist?

Arbeitsmappe: Fortsetzung und Beilage

Das 5. Kapitel schloss mit der Vision einer befreienden Zukunft als Antwort auf den Titel "Passt sich der Synodalrat dem Zeitgeist an?"

"[...] Der Synodalrat kommt zum Schluss, dass es ein Anliegen des Evangeliums selber ist, den Menschen, die unter gesellschaftlicher Verachtung, Rechtsungleichheit und Diskriminierung leiden, das Wort der Befreiung zu sagen.

Das kann nicht geschehen, ohne sich gleichzeitig für die Achtung ihrer menschlichen Grundrechte einzusetzen.

Es waren immer wieder mutige Zeugen, die sich gegen scheinbar gegebene, sogenannte 'Schöpfungsordnungen' einsetzten, um Unterdrückten zu ihrem Recht zu verhelfen. So war es beispielsweise Martin Luther King, der sich zu seiner Zeit gegen die herrschende Auffassung stellte, Schwarze seien Menschen zweiter Klasse. [...] Damals entsetzten sich viele amerikanische Christen darüber [...] und begründeten ihre Ansicht mit angeblichen 'Schöpfungsordnungen', wonach Schwarze von Gott selber zum Dienen erschaffen seien. Das macht wohl wie kaum ein anderes Beispiel deutlich, dass mit dem Begriff der Schöpfungsordnung äusserst vorsichtig umzugehen ist. In der reformierten Theologie ist er sowieso nicht üblich. Hinter sogenannten 'Schöpfungsordnungen' verbergen sich oft nicht offen ausgesprochene Machtansprüche.

Das Evangelium, so sehr es ein Wort der Befreiung und Erlösung für die Bedrückten ist, wird auch heute immer wieder ein Stein des Anstosses sein."

In einer "Beilage A" mit dem Titel "Homosexualität und Kirche" äusserte sich der Synodalrat unter anderem:

"Es trifft keineswegs zu, dass die Bibel 'ganz klar' Homosexualität Sünde nenne. Wer die Bibel ernst nimmt, erkennt, dass die wenigen Stellen Auslegung nicht nur erlauben, sondern in jeder Zeit neu erfordern.

Jesus äusserte sich nie zum Thema Homosexualität! Massgebend für uns ist aber, wie Jesus sich Menschen zuwendete, die von der damaligen Gesellschaft als Sünder oder Unwürdige gebrandmarkt waren [...]. Unser Christsein wird sich darin bewähren, dass wir Menschen annehmen, die uns durch ihre Andersartigkeit in Frage stellen, deren Verhalten wir nach unserer beschränkten Erkenntnis nicht gutheissen.

Der Synodalrat ist darum nicht bereit, grundsätzlich Homosexualität als unvereinbar mit dem Pfarramt zu erklären. [...]

Rasche Entscheide werden den Problemen nicht gerecht. Weder starres Festhalten am Hergebrachten, noch vorschnelles Aufspringen auf den Zug des Zeitgeistes führen zu nachhaltigen, christlichen Lösungen. Die Fragen um die Homosexualität wird die Kirchen dauernd beschäftigen, etwa auch die Frage, wie die Kirche homosexuellen Partnerschaften begegnet. [...]"

Erst drei Jahre später, im Herbst 1998, liess der Synodalrat eine Umfrage zu "Feiern für Menschen in besonderen Lebenslagen" durchführen. Von den 21 Bezirkssynoden und Pfarrvereinen Bern-Jura waren 14, also 2/3, strikt dagegen.

Diese Zahl ist erschütternd, wenn man bedenkt, dass nur sieben Jahre später fast 60% der Gesamtbevölkerung des Landes die Einführung des Partnerschaftsgesetzes für gleichgeschlechtliche Paare bejahte. Offenbar gehörten zu den über 40% Ablehnenden besonders viele rechtgläubige Christen. Dies weist auch auf ein Dilemma hin, in dem offene evangelisch-reformierte Kirchenleitungen stecken. Es ist die schwierige Aufgabe, christliche Brüderlichkeit auch Schwulen und Lesben gegenüber zu leben und doch nicht laufend Mitglieder an evangelikale Freikirchen zu verlieren.

Trotzdem, im Jahr 2000 (da gab es die HuK-Schweiz bereits nicht mehr), schuf die Synode der evangelisch-reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (im Rahmen einer früheren, am 11. September 1990 erfolgten Revision der Kirchenordnung) in einem mutigen Schritt die Möglichkeit der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare (KiO Art 23 und 79). Darauf hat der Synodalrat nach Annahme des Partnerschaftsgesetzes im Kreisschreiben Nr. 12/2006 ausdrücklich hingewiesen

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Ernst Ostertag, Oktober 2007, Ergänzungen Februar 2009.