1970/1976

Wie es begann

Geständnis und Leserbrief

Im Sommer 1970 wollten die Eltern Krieg-Morath von ihrem Sohn (geb. 1946) wissen (Zitat aus dem Bericht von Max Krieg über seine Mutter):1

"Ob er 'mit Männern auch mehr als nur Freundschaft pflege'. Er war ja schliesslich im Juni mit einem Mann in San Remo gewesen. Die Antwort war klar: 'Ich habe auch eine sexuelle Beziehung zu ihm und ich werde von dieser Art Leben nicht mehr abweichen.' Sie warfen ihren Sohn nicht aus dem Haus. [...]

Sie hatten noch 14 Monate gemeinsame Zeit [der Vater starb 1971], um daran zu kauen. Lese- und Bildungsstoffe wurden ihnen vom Sohn zur Verfügung gestellt. Und an Weihnachten durfte der Freund in die Familie eingeladen werden. Die Gespräche Mutter-Sohn brachen nach dem Tod des Vaters nicht ab. In den USA hatte eine Mutter eine Elterngruppe gebildet und Berichte darüber gaben den Anstoss, in der Schweiz etwas Ähnliches zu versuchen. Mutmacher war der Sohn."

Die acht Jahre intensiver Tätigkeit begannen im Mai 1976 mit Leserbriefen. Muttter Krieg schrieb sie an die Zeitschriften Schweizer Familie sowie Leben und Glauben.

Der erste Brief erschien in der Mai-Ausgabe von Leben und Glauben (damals ein reformiertes Monatsmagazin, heute eine Wochenzeitschrift) unter dem Titel

"Ich appelliere an alle Mitmenschen: Haben Sie Verständnis

Unser Sohn ist homosexuell. Ja, bis unsere Familie selber mit diesem Problem konfrontiert wurde, standen auch wir dieser Minderheit verständnislos gegenüber. [...]

Diese Menschen suchen keineswegs nur das sexuelle Erlebnis, vielmehr wünschen sie eine tiefe Freundschaft aufzubauen. Aber gerade das wird ihnen von den Angehörigen und von der Gesellschaft fast unmöglich gemacht. Deshalb getrauen sich viele nicht, ein ihnen gemässes Leben zu führen.

Dieses und vieles andere mussten wir verstehen lernen. Unser Sohn war uns dabei eine grosse Hilfe. Es war eine lange Zeitspanne vom ersten Ahnen bis zum klärenden Gespräch.

Wir Eltern machten uns grosse Vorwürfe. Was haben wir in der Erziehung falsch gemacht? Warum haben wir Anzeichen nicht richtig gedeutet?

[...] Trotz allem wäre es uns nie in den Sinn gekommen, ihm die Türe zu weisen, was leider noch öfter geschieht. Nun wünschten wir den Freund kennen zu lernen und fanden ihn sehr sympathisch. [...]

Dies alles liest sich so ganz einfach. Aber glauben Sie ja nicht, dass es keine schwere Zeit war. Aber im Glauben fanden wir die Überzeugung, dass auch diese Menschen Gotteskinder sind. Damit bitte ich Euch Eltern, nehmen Sie Ihr Kind an, so, wie es ist! [...] Ihr Kind hat seine Art nicht selbst gewählt. [...]

Ich wäre dankbar, Eltern zu finden, die gewillt sind, die Situation unserer Kinder verbessern zu helfen. [...]

Es freut sich auf viele Zuschriften, Frau K."

Die Redaktion liess noch eine Erklärung folgen:

"Die Adresse können wir nicht bekanntgeben, leiten aber alle Zuschriften fortlaufend weiter. [...]"

Nach oben

Ernst Ostertag, Mai 2007

Quellenverweise
1

Anfang Januar 2007 übergab mir Max Krieg einen Bericht über seine Mutter, damit ich ihn für das Kapitel "Elternkontaktstelle" verwenden könne. Dieses von ihm verfasste Manuskript trägt den Titel "Acht Jahre im Leben der Irma Krieg-Morath (1917-2001)" und befindet sich nun im sas, zusammen mit allen dazugehörenden Unterlagen aus dem Nachlass von Frau Krieg