2003

Weitere Reaktionen

"Verletzendes aus dem Vatikan"

Weitere Reaktionen auf die "Verlautbarung der Glaubenskongregation": Am 18. August 2003 veröffentlichte die NZZ Leserbriefe unter dem Titel "Verletzendes aus dem Vatikan":

"[...] Meine erste Reaktion war noch relativ gelassen: Von Rom ist in dieser Frage nichts anderes zu erwarten! Aber bereits dies ist eigentlich schon traurig genug: eine Kirche, von der man nichts mehr erwartet! [...]

Dem Dokument muss aber widersprochen werden, weil es über weite Stecken sehr verletzend ist - und das nicht nur für Schwule und Lesben. Die Ehe wird in einer realitätsfernen Art idealisiert und sozusagen als einziges Fundament unserer Gesellschaft dargestellt, so dass sich alle Menschen, die diese Lebensform aus irgendeinem Grund nicht leben (Alleinstehende, Zölibatäre, Behinderte…) nur als Menschen zweiter Klasse vorkommen können. Umgekehrt werden [...] auch die vielfältigen Aspekte einer ehelichen Lebensgemeinschaft reduziert auf den Auftrag, Nachwuchs zu zeugen und grosszuziehen. [...]

Für gleichgeschlechtlich empfindende Menschen kommt es nun aber noch happiger: Wenn sie sich um verantwortete Partnerschaft bemühen, wird dies als schwere Sünde taxiert. Weiter: solche Paare gefährden unsere Jugend, sie unterwandern die öffentliche Moral, stellen die Institution Ehe in Frage und sind allgemein für die Entwicklung der Gesellschaft schädlich. [...]

Weil solche Paare für die Entwicklung der Person und der Gesellschaft keinen bedeutsamen positiven Beitrag leisten, bedürfen sie keiner spezifischen Aufmerksamkeit von Seiten der Rechtsordnung. Daraus folgert die Kongregation: Im Fall von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften wären Achtung und Nichtdiskriminierung der Person eine Ungerechtigkeit! Anders formuliert: Die Diskriminierung von homosexuellen Menschen bezüglich Lebenspartnerschaften ist Ausdruck von Gerechtigkeit! Es schmerzt, solche Zeilen lesen zu müssen, herausgegeben von einer Kirche, der ich selber zugehöre und in deren Namen ich noch immer meine Arbeit tue."

Christian Leutenegger, St. Gallen, Präsident des Vereins Adamim - schwule Seelsorger Schweiz

"Als Psychotherapeut möchte ich zur jüngsten Aggression des Vatikans gegenüber Lesben und Schwulen folgenden psychologischen Zusammenhang bewusst machen:

Die katholische Kirche instrumentalisiert und missbraucht von jeher die Sexualität, indem sie in wohlbekannter und kaum zu überbietender Arroganz über Gut und Böse dieser Urkraft des Menschseins richtet. Homosexualität wird in dieser moralisierenden Logik aus dem Leben abgespaltet und verteufelt, gleichgeschlechtlich empfindende Menschen werden allenfalls als reumütige Sünder geduldet.

Das Menschen- und Gottesbild, das hinter einer solchen Verteufelung steckt, ist dasjenige eines allbeherrschenden patriarchalen Machtimperiums und hat mit Lebendigkeit und wahrer Menschenliebe wenig zu tun. [...]

Die Zeche dafür bezahlen unzählige katholisch-gläubige Lesben und Schwule, von denen sich ein Grossteil auch heute noch hinter einer heterosexuellen Fassade versteckt. Alle uns bekannten Formen von seelischen Störungen (Depressionen, Ängste, Phobien, Zwänge, Süchte, psychosomatische Beschwerden bis hin zum Suizid) sind die möglichen Folgen ihrer individuellen Verdrängungsprozesse."

Kurt Wiesendanger, Zürich

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Ernst Ostertag, Oktober 2008