1999/2000

Holocaust-Fonds Schweiz

… und Pink Cross

Beat Wagner überliess mir (Ernst Ostertag) im Jahr 2002 die Kopie seines Briefes, den er am 27. Februar 2000 an die Generalsekretärin des Schweizer Fonds zugunsten bedürftiger Opfer von Holocaust / Shoa gerichtet hatte. Als "Delegierter von Pink Cross für humanitäre Angelegenheiten" hatte er dieses Schreiben in zwei Teilen verfasst: 1. Zusatz zur "ersten Bilanz" und 2. "Schlussbilanz".

Aus dem ersten Teil:

"Zur 'ersten Bilanz' vom 17. Dezember 1999 scheint mir ein Punkt wesentlich: Der Bundesrat hat mit der Formulierung der Verordnung und der Zweckbestimmung des Fonds festgelegt, dass alle Opferkategorien gleich behandelt werden sollten, und das wurde vom Fonds in seiner Arbeit auch ohne Diskussion durchgeführt.

Die Schweiz hat damit im internationalen Vergleich einen Massstab gesetzt, der nicht nur 'vergessenen Opfern' zu Gleichbehandlung und in manchem Fall zur erstmaligen Anerkennung als Opfer der NS Verfolgung verhalf, sondern auch - beispielsweise bei der Schaffung des Internationalen Fonds für Opfer der NS Verfolgung oder im Zusammenhang mit der Verwendung der Vergleichszahlung im Fall der Sammelklagen gegen Schweizer Grossbanken - Nachahmung fand und in der Öffentlichkeit die Tatsache in Erinnerung rief, dass das Nazi-Regime nicht nur die bekannten grossen Opfergruppen, sondern aus gleichen Motiven heraus eine Reihe weiterer Gruppen systematisch verfolgte.

Dies ist - gerade wenn man die Behandlung dieser weiteren Gruppen durch die Bundesrepublik Deutschland betrachtet - von grosser Bedeutung und verdiente es meines Erachtens in einer Schlussbilanz festgehalten zu werden. Die Schweiz braucht in dieser Hinsicht ihr Verdienst keineswegs klein zu schreiben. Ich hielte es für richtig, dies in einer Schlussbilanz zu erwähnen. (Wenn es in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit gibt, auf Seite 2 anzufügen, dass am 17. und 24. März 1998 die ersten Zahlungen an homosexuelle Opfer der NS Verfolgung erfolgten, würde ich dies natürlich auch begrüssen.)"

Aus dem zweiten Teil "Schlussbilanz - Berücksichtigung homosexueller Opfer der NS Verfolgung durch den Fonds":

"Der Fonds hat neun Überlebende unterstützt, die auf Grund ihrer Homosexualität in verschiedener Dauer - zwischen sechs Monaten und neun Jahren - und verschiedener Form - Haft im Konzentrationslager, Zuchthaus, Arbeitslager, Zwangskastration - Opfer der NS Verfolgung geworden waren und die in prekären Verhältnissen und zum Teil mit schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigung leben. Zwei davon sind kurz nach der Übermittlung der Unterstützung verstorben. Sechs dieser Personen leben bzw. lebten in Deutschland, je eine in Österreich, Polen und Frankreich. Für acht dieser Überlebenden bedeutete die Unterstützung [...] die erstmalige Anerkennung als Opfer der NS Verfolgung und für die meisten war es die erstmalige Unterstützung in diesem Zusammenhang.

Die Anerkennung im moralischen Sinn, auch wenn sie keine rechtliche Wirkung hat, ist von grosser Bedeutung, weil homosexuelle Überlebende lange Zeit - und in der breiten Öffentlichkeit weiterhin - meist nicht als Opfer von NS Unrecht betrachtet wurden und werden. Die [...] Unterstützten [...] haben denn auch nie eine Entschädigung für das erlittene Unrecht erhalten.

Ein einziger von ihnen tritt mit realem Namen in der Öffentlichkeit in Erscheinung, die anderen leben versteckt, ohne Anerkennung und ohne Unterstützung durch irgendwelche Interessengruppen. Gründe dafür sind die fortdauernde gesellschaftliche Ächtung von Homosexualität und der Umstand, dass der vom Nazi-Regime [...] verschärfte §175 in Deutschland bis 1969 galt und durchgesetzt wurde.

Der Vertreter von Pink Cross [...] im Beirat des Fonds konnte die Gesuche für die acht im Versteckten [...] Lebenden nur dank Vermittlung von mit ihnen bekannten Gewährspersonen erstellen. Dass diese Gesuche diskussionslos [...] genehmigt wurden, hat eine Parallele einzig in der Tätigkeit des Österreichischen Nationalfonds für vergessene NS-Opfer, es ist ansonsten bisher einzigartig.

Die Unterstützung dieser Personen [...] bzw. die Wahl eines Vertreters ihrer Interessen in den Beirat hatte Folgewirkungen. Die Aktion des Fonds fand in der schweizerischen Öffentlichkeit eine derartige Resonanz, dass durch private Spenden aus der Schweiz die finanzielle Hilfe [...] mehr als verdoppelt werden konnte.

Bei der Schaffung des International Nazi Persecutees' Relief Fund anlässlich der Londoner Gold-Konferenz wurde Pink Cross als einzige Vertretung von Interessen homosexueller Opfer [...] in die Liste der zur Verteilung der Fondsmittel befugten Organisationen aufgenommen. Dies hatte zur Folge, dass die Administration der USA die Unterstützung der Überlebenden mit je 3000 US$ sowie die Mitfinanzierung von Projekten zugesagt hat. Entscheide anderer Regierungen, die zum Internationalen Fonds beigetragen haben, stehen noch aus."

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Ernst Ostertag, Mai 2008