Newsletter 93
Oktober 2017
Dieser Newsletter enthält folgendes Thema:
- Vor 50 Jahren: Ein Schock und seine Wellen
Vor 50 Jahren: Ein Schock und seine Wellen
eos. Das Ende der seit 1932 bestehenden Organisation von Homosexuellen in der Schweiz wirkte als Schock. 35 Jahre lang hatten sich lesbische Frauen, dann mehr und mehr schwule Männer regelmässig zu Gesprächen, Diskussionen, Musik und Tanz getroffen und zwar, entscheidend wichtig, in sicheren, abgeschirmten Räumlichkeiten. Zur Organisation gehörte auch immer eine Zeitschrift. Nur als Abonnent der Zeitschrift war man Mitglied. Zwei Morde im Strichermilieu führten ab 1957 zu gesellschaftlichen Veränderungen und Repression, was zusammen mit internen Entwicklungen schliesslich am 22. Oktober 1967 die Auflösung der Organisation samt Zeitschrift zur Folge hatte. Zurück blieb nichts ausser der erdrückenden Frage: Was nun?
Ab 1943 hiessen Organisation und Zeitschrift DER KREIS, und die Zeitschrift wurde zweisprachig, deutsch und französisch. Nach Kriegsende kam der englische Teil dazu, Der Kreis - Le Cercle - The Circle wurde international. Man gab die einzige dreisprachige Homosexuellen-Zeitschrift mit Niveau heraus und war die einzige Organisation weltweit, die schwule Grossveranstaltungen für ein internationales Publikum durchführte. Der Kreis - Le Cercle - The Circle war einmalig als Austausch- und Veröffentlichungsplattform für homosexuelle Künstler, Schriftsteller und Wissenschafter.
Nach 1957 änderte sich das Klima in der Schweiz radikal. Die Toleranz oder besser die stillschweigende Duldung war vorbei. Es folgten Jahre der Repression: 1960 verhängte die Stadt Zürich ein Tanzverbot für Männer und es kam zu ersten Grossrazzien an Treffpunkten von Schwulen. Bei Razzien wurden Unschuldige willkürlich verhaftet und ihre Personalien systematisch in Homo-Registern der Polizei eingetragen. Diese Praxis dauerte in Zürich und anderen Schweizer Städten an bis zur Mitte der 1970er Jahre; in Bern wurde gar bis 1990 registriert.
Das Tanzverbot setzte dem KREIS massiv zu. Es liess die Haupteinnahmequelle versiegen und bedrohte damit vor allem die Existenz der Zeitschrift. Junge Kameraden versuchten, ein modernes Heft mit ansprechender Gestaltung zu entwerfen, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Sie scheiterten an der starren Haltung der Leitung, die immer wieder an "die Jungen" appellierte und Mitarbeiter suchte, doch keine der vorgeschlagenen Änderungen akzeptieren konnte. Aus den liberalen Ländern des Nordens, den Niederlanden und Skandinavien, kamen neue Hefte mit Kurzgeschichten in deftiger Sprache, reich und farbig illustriert: Auf jeder Seite Jungs, die nichts verbargen. Zwar waren diese Produkte in der Schweiz illegal, aber willkommene und gesuchte Schmuggel-Ware. Sie traten in Konkurrenz zur Kreis-Monatsschrift.
Zwei der Faktoren des Niedergangs waren nicht zu beeinflussen: das Tanzverbot und die Konkurrenz. Beim dritten Faktor jedoch, den veralteten Strukturen, blieb die Führungsriege stur; die nötige grundlegende Erneuerung und Modernisierung scheiterte. Daran litten jene Kameraden, die von der Notwendigkeit des Kampfes um unsere Anerkennung und Gleichberechtigung überzeugt waren und ihn neu entfachen wollten. Jeder für sich wusste, der KREIS würde untergehen. Schuld am Untergang war zum grossen Teil eine im nicht legalen Graubereich schamlos und lustvoll operierende Polizei, die sich von der einseitig informierten, ja indoktrinierten Mehrheit von Bürgern gedeckt fühlte. Das war ein falscher, einer Demokratie unwürdiger Zustand, der aufgedeckt, bekämpft und abgeschafft werden musste; nach dem Ende der Repression galt es, eine neue offene Gesellschaft zu ermöglichen. Diesen Kameraden war klar, dass hier eine Aufgabe auf sie wartete, die, zumindest im Anfang, niemand sonst übernehmen würde. Antrieb war die enorme Wut, die alle zu Unrecht Gedemütigten tief in sich trugen. Sie mussten sich nur noch finden und eine aktive Gruppe bilden. Dies war die Lage, als der KREIS zu seiner letzten Jahresversammlung rief.
Alles über dieses konsenslose, traurige, aufwühlende, trotzige, tumultuöse Treffen von Enttäuschten, von Passiv-Bleibenden, von Illusionisten und kühlen Realisten, alles zur Einsetzung einer Kommission von Jungen hier und in den folgenden Webpages: