Newsletter 165
September 2023
Diese Ausgabe enthält das folgende Thema:
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Vor 24 Jahren: Das Recht auf Partnerschaft zieht ins Bundeshaus
Vor 24 Jahren: Das Recht auf Partnerschaft zieht ins Bundeshaus
eos. Im Oktober sind eidgenössische Wahlen. Parolen, Informationen und Diskussionen beginnen spätestens jetzt. Es geht um persönliche Entscheidungen und den Willen zum Mitgestalten, damit nicht unsere Gegner überwiegen. Genau darum ging es auch damals vor 24 Jahren. Die Zeit war reif. Nun mussten wir klar und deutlich sichtbar werden. Alle wichtigen Lesben- und Schwulenorganisationen hatten zur Grossdemo "Ja, wir wollen!" am Samstag, 18. September 1999 auf dem Bundesplatz aufgerufen. In den Wochen danach sollte das Thema Partnerschaft für Gleichgeschlechtliche erstmals im Parlament (Herbstsession 20.9. bis 8.10. 99) besprochen werden. Wir wollten zeigen, dass es für uns wichtig und dringend ist. Es kamen über 6000 Personen aus allen Landesteilen und setzten ein unüberhörbares Zeichen. Das war der Anfang einer weiter wachsenden Bewegung, die via Partnerschaftsgesetz (2007) bis zur "Ehe für alle" (2022) andauern sollte.
Die Vorgeschichte allerdings geht um volle zehn Jahre zurück bis auf eine Tagung der HACH (Homosexuelle Arbeitsgruppen Schweiz, Dachorganisation) vom 1. Oktober 1989. Denn an diesem Tag führte Dänemark das Partnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Paare ein und wurde zum ganz grossen Vorbild. Diesem Beispiel sollte nun die Schweiz möglichst rasch folgen. "Schwulenhochzeit" war das aktuelle Tagungsthema. Doch rasch wurde klar, dass die Meinungen dazu stark auseinandergingen. In den folgenden Jahren entstand, nun auch zusammen mit den Lesben, die Idee einer nationalen Petition. Ihr Name sollte weder "Ehe" noch "Partnerschaft" enthalten, sondern möglichst offen zu formulieren sei. Man einigte sich auf "Gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare" und gründete einen Verein, der den genauen Wortlaut formulieren und das nötige Geld für die ganze Aktion sammeln sollte.
Auf der langen Bank
Im März 1994 war es so weit, die nationalen Organisationen LOS (gegr. Ende 1989), Pink Cross (gegr. 1993) und ein überparteiliches Patronatskomitee lancierten die Petition. Anfang 1995 konnte sie mit über 85'000 Unterschriften im Bundeshaus eingereicht werden. Dann blieb sie beim damaligen Justizminister Arnold Koller (CVP, AI) bis zu seinem Rücktritt im März 1999 schubladisiert. Am 6. Januar 1996 wurde in Bern die "Lange Bank-Aktion" durchgeführt. Man forderte, uns nicht auf die lange Bank zu schieben. Es geschah nichts. Also musste man den schlafenden Minister in Bern stören und tat es am 17. August 1998 mit der lauten "Wecker-Aktion". Diese Aktionen wurden von Schwulen- und Lesbenorganisationen sowie der Vereinigung ihrer Eltern (fels) gemeinsam organisiert. Sie blieben erfolglos. Erst die neue Justizministerin Ruth Metzler-Arnold (CVP, AI) brachte ab April 1999 frischen Wind und schuf Bewegung. Schon nach einem halben Amtsjahr wollte sie ihre Antwort auf die Petition "Gleiche Rechte" dem Parlament vorlegen. Sie tat dies dann auch mit den Worten: "Meine Damen und Herren, heute geht es um Liebe". Dieser Frau galt es den Rücken zu stärken. Niemand kannte die Widerstände besser, denen sie zu begegnen hatte, als jene Mitbürger, um die es jetzt ging. Und so machten wir uns am Samstag, 18. September 1999 zu Hunderten, ja Tausenden auf nach Bern.
Unsere geheime Botschaft
Für uns beide, Röbi und mich, war es das erste Mal, dass wir als schwule Männer an eine Demo gingen. Wir waren es gewohnt, Einzelkämpfer zu sein, Jahrzehnte lang im Verborgenen, als Rentner langsam offener. Erst mit fast 70 probierten wir es nun öffentlich. Zu diesem Anlass jedoch wollten wir nicht einfach "Ja, wir wollen!" sagen, nein, jetzt ging es um mehr. Wir mussten klar sichtbar sein als langjähriges Paar, das endlich gleiche Rechte einfordert. Wir mussten auffallen. Das entschieden wir im gegenseitigen Gespräch. Uns war das Vorurteil der Mehrheitsgesellschaft wohlbekannt, Homosexuelle seien flatterhaft und unfähig, langjährige Beziehungen zu leben, also sei ein Partnerschaftsgesetz unnötig. Genau dazu lieferten wir doch den lebendigen Gegenbeweis. Also bastelten wir am Vorabend ein grosses Transparent aus weissem Tuch und schrieben mit schwarzen Filzstiften darauf: SEIT 43 JAHREN EIN PAAR, RECHTLOS… Jetzt machte unser Einsatz Sinn. Wir schliefen prächtig und mit ruhigem Gewissen.
Auf dem Zürcher Bahnhof trafen wir viele Freunde und Bekannte, auch den jungen Beat Frischknecht, der unser Begleiter und Fotograf sein wollte. Sogar ein Extrazug stand bereit, organisiert von PinkRail, dem gewerkschaftlichen Zusammenschluss von homosexuellen Mitarbeitern der SBB (Schweizerische Bundesbahnen). Später erfuhren wir, dass alle des Zugpersonals, vom Lokführer bis zu den Ticket-Kontrolleurinnen, Mitglieder von PinkRail seien, die freiwillig diesen Spezialeinsatz leisteten. Die Waggons waren bis zum letzten Platz gefüllt von zumeist jungen, laut und fröhlich schwatzenden Menschen. Es wurden Flyer verteilt und Hinweise des Organisationskomitees per Lautsprecher durchgegeben. Im Nu war die Stunde bis Bern vorüber. Auf dem Bahnhofplatz gab es rosafarbene, hellblaue, violette Ballons mit grossen "ja", "oui", "sì" darauf. Frau, Mann organisierten sich einzeln und in Gruppen für den Umzug und wir entrollten unsere bisher geheim gehaltene Botschaft.
Sie wirkte, das erlebten wir sofort. Umstehende traten näher, umringten uns, stellten Fragen, nur mühsam hielten wir Schritt im Zug. Zum Glück war Beat da, half den Weg frei zu bekommen - und schon marschierten die vor uns zügig weiter. Wir sprangen ihnen nach, vom Strassenrand riefen Zuschauer, die Fotos schiessen wollten. Kaum stockte es wieder, hatten wir uns nach allen Seiten zu drehen, der Schriftzug musste ins Bild. Fremde Menschen fragten nach unseren Namen, woher wir kommen und ob wir noch andere langjährige Paare kennen. Erneut Bewegung, rasch vorwärts, denn wir wollten den uns zugewiesenen Platz nicht verlieren und doch, bei jedem kurzen Stillstand kamen wieder neue Leute heran, stellten dieselben Fragen, baten um ein Foto-Posieren, begannen ein knappes Gespräch. Das Ermüden merkten wir nicht, alles wirkte wie ein Traum oder Rausch. So etwas hatten wir noch nie erlebt.
Viel Aufmerksamkeit und eine peinliche Frage
Irgendwann standen wir auf dem Bundesplatz, stützten uns auf die Transparent-Stecken, wollten ein angebotenes Fläschchen leeren und etwas stille sein mitten in den vielen Menschen rundum. Wir fühlten uns fern von Fragenden, einfach erfüllt und glücklich. Lange hielt das nicht an. Hier war das Revier der Berufsfotografen, der Journalistinnen und Berichterstatter mit ihren Mikrofonen. Sie hatten Einzelgänger und kleine Gruppen ins Visier genommen. Ohne Transparent schienen wir unsichtbar. Wir nutzten die Ruhe. Es galt gemeinsam Botschaften zu formulieren, sich auf wenige prägnante Sätze zu konzentrieren und sie sich gut zu merken. Zugleich wollten wir unsere persönliche Geschichte im Hinterkopf behalten, es konnte plötzlich Zeit dafür geben. Wir trafen Freunde, führten lockere Gespräche, Beat knipste. Langsam näherten wir uns der grossen Bühne am Rand des Platzes, lauschten den Sprechern und Rednerinnen dort oben, der Musik. Dann hissten wir das Transparent, wir waren bereit, es konnte losgehen. Und wie es losging mit Fragen der Reporter, Kameras vor uns, einer Kopfdrehung hier, einem Lächeln dort, mit eingeübten Botschaften in Mikrofone, Stichworte und Kurzgeschichten fürs Notizbuch oder den Schreibblock, bis plötzlich, mitten in einem Interview, jemand rief: "He, ihr beiden, ihr müsst hinauf, kommt mit!" Man drängte uns hinter die Bühne und die Treppe hoch.
Oben war François Baur, den wir als Neumitglieder von Network, dem Verein schwuler Führungskräfte, bald näher kennenlernen sollten, blond gelockt in Berner Männertracht und daneben eine sehr junge Frau, Berner Sonntagstracht mit rot glänzender Seidenschürze. Sie machten die Moderation. Vor uns der weite Platz, bunte Menschen und ein Meer von rosa, blauen, violetten Ballons. "Euch kennt niemand, das Transparent zeigt alles, hebt es bitte hoch", begann François mit seinen Fragen, die er mir stellte. Das hübsche Trachtemeitschi befragte Röbi. So ging es abwechselnd los für eine gute Viertelstunde oder mehr bis ds Meitschi abschliessend sagte: "Noch etwas, wer von euch macht d'Huusfrou?" Da war es urplötzlich total still rundum und hinaus bis ganz zum Rand, einfach still. Des armen Meitschi Gesicht lief an und begann zu leuchten wie ein Abklatsch seiner Schürze. Es war die Frage, die man nicht stellen sollte. Die Erwartung stieg. Röbi nickte mir zu, ich nahm das Mikrofon und rief überlaut: "Das ist ganz einfach, wir beide sind doch Kombimöbel - wie alle anderen hier wohl auch!" Lachen stieg auf und sein Echo hallte in die Weite. Wenig später prosteten wir zu viert uns zu, waren glücklich - und natürlich, es war roter Wein, der im Glas funkelte.
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