Die Folgen

Seine Erfahrungen aus der Knastzeit in Lenzburg verarbeitete Alexander Ziegler gleich doppelt. Im Berner Galerietheater Die Rampe brachte Regisseur Paul Roland 1970 Zieglers Theaterstück "Zellengeflüster - Ein Stück Realität" zur Uraufführung. Die böse, teils dokumentarische Abrechnung mit den Beamten im Schweizer Justizsystem wurde später auch in anderen Kleintheatern inszeniert. Ziegler spielte in der Erstaufführung und später auch in Zürich einen Häftling, der seit drei Jahren wegen angeblicher Vergewaltigung eines minderjährigen Mädchens eine Haftstrafe absitzt und von der Sinnlosigkeit des damaligen Strafvollzugs überzeugt ist.

Seine Gefängniszeit und die späteren schlimmen Erlebnisse des jungen Thomas verwebte Ziegler 1975 zu einer packenden Romangeschichte: "Die Konsequenz" beschreibt das Scheitern einer schwulen Liebe am Widerstand einer verständnislosen Umwelt. Ziegler schildert, wie der sensible Junge von den Eltern in eine Besserungsanstalt gesteckt wird. Der Junge zerbricht an der Brutalität eines Wärters, an Kerkerstrafen und bösartigen Kameraden, obwohl sich sein Freund Martin (Ziegler beschreibt sich in dieser Figur selber) in die Anstalt einschleusen kann und die beiden nach Deutschland fliehen. Dort will ihnen ein nicht geouteter, schwuler Bundestagsabgeordneter helfen, aber nur, wenn Thomas bei ihm bleibt… Ziegler erzählt dies plakativ in Rückblenden, in der Rahmenhandlung geht es um die psychiatrische Beurteilung von Thomas nach einem Suizidversuch. Das Erfolgsbuch erschien 1975 und fand damals fast durchwegs gute Kritiken.

Der junge deutsche Filmproduzent Bernd Eichinger und der spätere Hollywoodregisseur Wolfgang Petersen erkannten das filmische Potential von Alexander Zieglers Melodrama. Petersen drehte seinen 20. Film "Die Konsequenz" aus künstlerischen Gründen in Schwarzweiss. Die Hauptrolle  besetzte er mit Jürgen Prochnow, der als einer der ersten Starschauspieler überhaupt im deutschsprachigen Raum eine ernste Schwulenrolle übernahm. Der gutaussehende 17-jährige Laie Ernst Hannawald, der eine schwere Jugend hinter sich hatte, wirkte als Thomas besonders glaubwürdig. Nebenrollen übernahmen auch bekannte Schweizer Schauspieler; so etwa spielten Erwin Parker und Alexander Ziegler Häftlinge, Walo Lüönd den Wärter Manzoni oder Erwin Kohlund den Gefängnisdirektor.

Die Uraufführung des TV/Kinofilms "Die Konsequenz" Ende Oktober 1977 an den Hofer Filmtagen fand ein starkes Medienecho, die Filmkritik war einhellig begeistert. Doch das brisante Thema der "Konsequenz" verursachte einen Skandal, der überall Schlagzeilen und wohl auch neugierig auf den Film selber machte: Der Bayerische Rundfunk boykottierte die Erstausstrahlung am 8. November 1977 in der ARD, und ganz Bayern musste sich ein harmloses Ersatzprogramm ansehen... Dennoch: Das erschütternde, als "wertvoll" ausgezeichnete schwule Liebesdrama fand im Fernsehen, in den Kinos und sogar in den USA ein Millionenpublikum. Das Drehbuch, von Ziegler und Petersen gemeinsam verfasst, erhielt den deutschen Kritikerpreis und den Adolf-Grimme-Preis (in Bronze), eine der renommiertesten Auszeichnungen für TV-Sendungen in Deutschland.

Peter Kaufmann, Dezember 2016