Schwule Identität

Die Geschichte der schwulen Identität war mit keinem Geschichtslehrer noch mit Studienkameraden diskutierbar. Sie bedurfte des einsamen Prozesses von Beobachten und Suchen zugleich. Zunächst aber blieb alles wie abgewürgt im Bann des "Nie wieder". Nie wieder die Schmerzen einer zurückgewiesenen Liebe. Niemals ein Abgleiten zum pathologischen Fall. Unter dieser Decke aus starrem Eis entstand Druck, der langsam wuchs, etwa wie bei isländischen Vulkanen. Es ging ums Aufbrechen des Schweigens über "Unschickliches". Es ging ums Erlebenwollen erfüllter Sexualität.

Mit 24 erfuhr ich zufällig vom KREIS, sah eines der Hefte und kontaktierte "Rolf", den Leiter. Hier wollte ich dabei sein und mitwirken. Er winkte ab. Ich müsse erst an eine feste Lehrerstelle gewählt werden. 18 Monate später, im Sommer 1955, war es soweit. Ich arbeitete im Hintergrund als Aushilfe bei Textkorrekturen usw. In Gesprächen mit den drei Redaktoren erkannte ich mehr und mehr die lange Geschichte vor dem KREIS und hörte vom Leben und Kämpfen der Pioniere. Es hatte "uns" schon immer gegeben. Nicht nur als verschwiegene Minderheit.

Ernst Ostertag, Oktober 2008