Röbi und der Buddhismus

Obwohl Ernst Ostertag wegen seiner beruflichen Situation als Sonderschullehrer vorsichtig sein musste und seine geliebte Tätigkeit keinesfalls verlieren wollte, hatten er und sein Partner Röbi Rapp einen breiten Freundeskreis. Dazu gehörte auch das Ehepaar Erwin und Dor Sutz. Erwin, reformierter Pfarrer und Religionslehrer, war verheiratet und hatte mit seiner Frau vier Kinder, trotz seinen erotischen Neigungen zum eigenen Geschlecht. Seine Frau wusste Bescheid und akzeptierte den Sachverhalt, der nicht zu ändern war. Was Röbi und Ernst betraf, betrachtete er sich als Fixstern, der über ihrer "Beziehung wacht und strahlt und euch so für immer begleiten wird". Erwin Sutz (1906-1987) stand unter dem Einfluss der Theologie Karl Barths und Emil Brunners, und er war mit dem Studienkollegen Dietrich Bonhoeffer, lutherischer Theologe im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, eng befreundet. Wenn Sutz predigte, war die Kreuzkirche in Zürich-Hottingen immer bis auf den letzten Platz besetzt. Röbi und Ernst gehörten zu den regelmässigen Zuhörern. 1969 wurde Pfarrer Sutz das Opfer von Erpressungen, was seinen Kirchenobern nicht verborgen blieb. Doch statt ihn in dieser belastenden Situation zu stützen, liessen sie ihn fallen, drängten ihn "gesundheitshalber" zum Rücktritt, so dass er in der Folge ernsthaft erkrankte und sein Amt nicht mehr weiterführen konnte. Dieses tragische Erlebnis und andere homophobe Vorkommnisse im christlichen Umfeld veranlassten Röbi und Ernst, der evangelisch-reformierten Landeskirche 1971 den Rücken zu kehren. Ernst trat sofort aus der Kirche aus; Röbi tat es erst 1986 nach dem Tod seiner Mutter, weil er sie damit nicht belasten mochte.

Eine neue religiöse Heimat fanden beide bereits zuvor im Buddhismus, zunächst im japanischen Zen, später in der tibetischen Karma Kagyü Schule. Im Frühling 1994 sprachen Röbi und Ernst in Anwesenheit und unter Anleitung des tibetischen Arztes, Meditationsmeisters und Abtes Akong Rinpoche (1939/1940-2013) die dreifache Zufluchtsformel:

"Ich nehme meine Zuflucht zu Buddha.
Ich nehme meine Zuflucht zu seiner Lehre.
Ich nehme meine Zuflucht zur Mönchsgemeinschaft."

Aus Röbi Rapp wurde Karma Sherab, aus Ernst Karma Jinpa. Auf seinen Reisen mit Ernst in den Fernen Osten und in vielen Gesprächen hatte Röbi den Buddhismus kennen und schätzen gelernt. So wuchs die Einsicht in den Kern der Lehre Buddhas. Die regelmässige Meditation, eine Stufe auf dem so genannten "achtfachen Pfad", gehörte fortan zum fast täglichen Ritual. Die Besinnung nach innen ist das Eine, das rechte Tun nach aussen aber ist für Buddhisten ebenso wichtig: Nach seiner Pensionierung im Jahre 1990 arbeitete Röbi als Freiwilliger für das Schweizer Hilfswerk Rokpa, das tibetische Flüchtlinge begleitet und armutsbetroffenen Familien in Nepal, Simbabwe und Südafrika ein besseres Leben ermöglichen will. Vor allem bietet Rokpa sogenannten Strassenkindern Unterkunft und Schulung und begleitet sie in ihr eigenständiges Leben. Der tibetische Begriff "Rokpa" bedeutet: "Hilfe, wo Hilfe nötig ist." Akong Rinpoche war bis zu seinem Tod Präsident des Hilfswerks; die aktive Leiterin und Gründerin ist Lea Wyler, eine ehemalige Schauspielerin, mit der Röbi befreundet war.

Josef Burri, Februar 2019