Newsletter 38

Februar 2013

Diese Ausgabe enthält folgendes Thema: 

  • Kolumne: "In der Schweiz höchst unerwünscht"

    

"In der Schweiz höchst unerwünscht"

eos. Vor 70 Jahren, am 22. Februar 1943 starb der Schweizer Leopold Obermayer im Nazi-Konzentrationslager Mauthausen. Er war Jude und homosexuell.

Obermayer, geb. 1892, lebte in Würzburg und war Anwalt. Als Sohn eines Schweizers hatte er den Schweizerpass. 1934 wurde er von der GESTAPO verhaftet und einige Monate später ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert.

Der einzige Grund dafür war:

Als Obermayer bemerkte, dass seine Post regelmässig geöffnet wurde, beschwerte er sich beim zuständigen Amt wegen Verletzung des Briefgeheimnisses.

Das war für die Geheime Staatspolizei im neuen Nazi-Deutschland (GESTAPO) Grund genug für die Verhaftung des Beschwerdestellers und für eine anschliessende Wohnungsdurchsuchung. Dabei fanden sich Materialien, die einigermassen sicher bewiesen, dass dieser Jude auch homosexuell war.

Nach der Verhaftung informierte die GESTAPO das schweizerische Konsulat in München zum Straffall Obermayer, worauf der Konsul an den schweizerischen Gesandten in Berlin einen Brief verfasste und darin schrieb, es hätte sich "ein sehr ungünstiges Bild über die Persönlichkeit unseres Landsmannes ergeben".

Der Gesandte schickte nun seinerseits einen Bericht nach Bern. Von höchster Stelle, vom zuständigen Bundesrat und Aussenminister Giuseppe Motta (TI, kath. kons., heute CVP) erhielt er darauf die Antwort, es solle Angesichts der sittlichen Verfehlungen nichts unternommen werden, da "ein allzu grosses Interesse" an diesem Fall "den allgemeinen schweizerischen Interessen kaum förderlich sein" könne. Auch dürfe man den deutschen Behörden keine Grundlagen liefern, "unbequeme Schweizer aus nichtigen Vorwänden auszuweisen", denn es handle sich bei diesen vielfach um Leute, "deren Anwesenheit in der Schweiz höchst unerwünscht wäre".

So nahm das Schicksal seinen Lauf.

Um eine Verurteilung möglich zu machen, versuchte die GESTAPO 1936, Obermayers schweizerische Staatsbürgerschaft in Frage zu stellen. Das Konsulat in München verweigerte die für den Angeklagten so entscheidend wichtige Untersuchung im Bürgerort des Vaters, Siblingen (SH), weil der homosexuelle Sohn vermutlich "der kommunistischen Seite" nahe gewesen sei und auch daher "kolossal fremd einer normalen schweizerischen Einstellung" gegenüberstehe.

Im selben Jahr kam es zum Prozess nach deutschem Recht, also gegen einen schutzlosen Juden und Homosexuellen. Der Schuldspruch lautete auf zehn Jahre Zuchthaus.

Sechs Jahre später, 1942, wurde der laut schweizerischem Gesetz völlig unschuldige Obermayer ins Konzentrationslager Mauthausen überführt. Dies, obwohl der Schaffhauser Anwalt und Vormund des Angeklagten bereits 1937 beweisen konnte, dass der Verurteilte rechtmässiger Bürger von Siblingen und damit Schweizer war. Natürlich hatte er das sofort nach Bern gemeldet.

Doch erst im November 1942 erhielt er die Antwort, er solle den "Straffall in Erinnerung rufen, wenn die Strafdauer abgelaufen sein wird", also im Jahr 1946.

Dieses Schreiben kam einem Todesurteil gleich, denn spätestens ab Mai 1942 wusste "Bern" um die systematischen Massenvernichtungen in deutschen Konzentrationslagern.

Fünf Monate nach der Antwort aus Bern war Leopold Obermayer tot.

Mehr zu dieser tragischen Geschichte:

Leopold Obermayer
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