Freundschaften und Vorlieben
Der 20- bis 30-jährige Adriano pflegte zahlreiche Freundschaften zu Männern, die zum Teil viel älter waren. Dabei mögen die körperliche Erscheinung und Eloquenz des jungen Mannes durchaus förderlich gewesen sein. Aber für Adriano ging es in solchen Beziehungen um den Austausch mit kulturell interessierten und geistig beweglichen Menschen, nicht um Sex oder Liebe. Zu Adrianos Verehrern gehörte der kultivierte Innenarchitekt, Unternehmer und Literat Konrad Kahl (1914-1985). Adriano hat eines seiner Gedichte auf Italienisch übersetzt. In den Gedichtband "Waage des Lebens"1 schrieb Kahl eine persönliche Widmung:
"Dir, Adriano, Zauber dieses Sommers, Zuversicht meiner Jahre, mit dem brennenden Freundeswunsch für alles Gelingen des schöpferischen Mannes, in Dankbarkeit, Dein Koni."
Der Waadtländer Lyriker Gustave Roud (1897-1976), der Übersetzer von Hölderlin, Novalis, Rilke und Trakl, schrieb Adriano 1969 ebenfalls eine Widmung in eines seiner Bücher2: "Au jeune favori des muses ". Auch der Architekt und ETH-Professor Alfred Roth (1903-1998) zählte während vielen Jahren zu den Verehrern des Musenjüngers, gemäss Adriano "ein hochkultivierter, wunderbarer Mensch, ein echter Gentleman".
Adriano verbindet sich mit Menschen auf geistig-kultureller Ebene, auch in der Literatur. Er liebt die Lyrik eines Michelangelo, Walt Whitman, Rainer Maria Rilke, Arthur Rimbaud, Charles Baudelaire und eben auch Gustave Roud. Der russisch-ukrainische Autor Michail Bulgakow (1891-1940) tut es ihm besonders an, seit Adriano zwischen 1993 und 2014 regelmässig in Moskau dirigierte und somit Einblicke in die "russische Seele" gewann. Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita" ist eine surrealistische Parodie auf den Zustand der Sowjetunion in den dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Autor macht sich über die ideologische Engführung, die Überwachungsbürokratie, die Korruption und Heuchelei und die feige Angst-Mentalität lustig.
Das Parodistische, Fantastische und Groteske liegt Adriano besonders, wovon auch dessen Fotos als Zauberer, Vampir, Clown und Teufel in den 1970er Jahren zeugen, als er nebenher als Fotomodell arbeitete. Der Hang zu Provokation und zum Absurden mag durchaus mit seiner Biografie und mangelnder Wertschätzung zu tun haben. Zum Arsenal der Abwehrmechanismen gehören Instrumente wie die Blossstellung von Repressionsversuchen und die ironische Distanzierung. Adriano hat sich darüber hinaus wohl im dichtenden Protagonisten des Bulgakow-Romans gespiegelt gesehen, einem verkannten und von der Kritik fertig gemachten Künstler, der im Wahnsinn sein Werk verbrennt. Diesen letzten Schritt hat der selbstkritische Adriano ebenfalls gemacht, denn die meisten seiner Kompositionen und literarischen Schriften landeten im Papierkorb. Gelten liess er die zwischen 1968 und 1975 entstandenen, meist erotisch gefärbten Tuschzeichnungen. In den 1970er Jahren verfasste Adriano auch Theaterstücke, die aufgeführt wurden, allerdings ohne Erfolg bei der Kritik oder namhafte Resonanz. Diese Werke gehören zu seinem künstlerischen Nachlass, dessen grösster Teil in der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt wird.
Adriano liest seine Lieblingsbücher in der Originalsprache, ausser die russischen. Zu den bevorzugten schwulen Autoren Marcel Proust und Jean Cocteau gehört auch Oscar Wilde. Dessen erstmals 1890 veröffentlichter Roman "The Picture of Dorian Gray", der seinerzeit heftig kritisiert wurde und der das Leben für die Schönheit zum Thema hat, hält dem Ästheten Adriano eine Art Spiegel vor: Adriano beobachtet die Alterung seines Körpers, indem er jedes Jahr von neuem ein Foto von sich macht, nackt. Der Protagonist in Wildes Roman erwirkt, dass nur sein Abbild im Spiegel, nicht jedoch der reale Körper altert, muss dafür aber seine Seele verkaufen. Für körperbewusste schwule Narzissten eine Alternative, die nur in der literarischen Fantasie existiert. Immerhin dort!
Rückblickend auf Adrianos Lebensweg könnte die lateinische Redewendung "per aspera ad astra" passen. Ja, er habe viel Härte erfahren, aber er habe auch zu den Sternen greifen können, sagt Adriano.
Josef Burri, Dezember 2017
- 1
Konrad Kahl: Waage des Lebens – Gedichte. Verlag Oprecht, Zürich 1951.
- 2
Gustave Roud: Requiem. Payot, Lausanne 1967.