Verführt

Der knapp zwölfjährige Schüler und Nachwuchsschauspieler Alexander schwärmte für eine deutlich ältere Kollegin, die ihn nach einem Theaterabend (sinnigerweise Dürrenmatts “Besuch der alten Dame“) verführt haben soll. Zuvor hatte er sie mit teuren Geschenken überhäuft, die er mit Gelddiebstählen finanzierte. Als alles auskam, steckten ihn seine Eltern für dreieinhalb Jahre in Besserungsanstalten, wo er mit Kameraden und einem deutschen Erzieher erste schwule Erlebnisse hatte. Laut seinem autobiografisch gefärbten Buch "Labyrinth" nannte er den Mann später ein "Nazischwein" und wurde deshalb nach Hause geschickt.

In der Anstalt will der Teenager zudem vom Pfarrer "Don Dottore Amadeo" und dem international tätigen Beamten "Freiermuth" in "schweinischen Spielchen" missbraucht worden sein. Das habe ihn homosexuell gemacht. Ein Versuch, mit Schlaftabletten aus dem Leben zu scheiden, missglückt. Dies alles schildert Ziegler später in Briefen aus der Basler Untersuchungshaft an seine Eltern. War es eine Rechtfertigung für sein anscheinend verpfuschtes Leben? Zieglers Eltern waren jedenfalls entsetzt, ein ebenfalls schockierter Nachbar besuchte Ziegler in Basel, glaubte den in sich stimmigen Erzählungen des jungen Schauspielers und reichte eine Strafanzeige ein. Die Zürcher Untersuchungsbehörden stellten jedoch nach kurzer Zeit das Verfahren ein, als einige Details aus Zieglers Angaben mit Fotos widerlegt werden konnten.

Zieglers Eltern wandten sich daraufhin an den mutigen Polizisten Meier 19, der bereits etliche Polizeiskandale aufgedeckt hatte. Obwohl Kurt Meier die "Homosexualität nicht ganz geheuer war", übernahm er den Fall. Er entdeckte rasch Ungereimtheiten in Protokollen, seltsame Beschlüsse und fehlende Aktenseiten. Er reichte Klage ein, 231 weitere Akten wurden zusammengetragen, zahlreiche Zeugen befragt. Doch am Ende wurde das Verfahren im Oktober 1969 erneut eingestellt. Finanzielle Auseinandersetzungen verärgerten Meier, und er gab den Fall ab. In "Labyrinth" schildert Ziegler seine "unvergleichlichen Freundschaften" mit Freiermuth und Don Dottore Amadeo aus völlig anderer Perspektive: als Stufen auf dem Weg zur Selbstfindung und zur Akzeptanz seiner Homosexualität.

Peter Kaufmann, Dezember 2016