Inszenierung des Alltags

 

Die Oper über das Schicksal von Bernhard Vogelsanger muss erst noch geschrieben werden. Vielleicht wird sie eine Art "Rigoletto" mit gutem Ausgang, die Geschichte eines kleinen Narren, der sich der grossen, menschenfressenden Welt entzog, und dessen Tochter, die Oper, entsprechend kleinwüchsig blieb und deshalb vom leichtlebigen Herzog von Mantua auch nicht begehrt wurde, mit allen wunderbaren Konsequenzen, die sich daraus ergeben, denn die Tochter bleibt am Leben, während sie beim tragischen Rigoletto umgebracht wird, versehentlich zwar, aber vom eigenen Vater.

Für den allfälligen Librettoschreiber und Komponisten wichtig zu wissen ist, der Umstand, dass auch Vogelsangers tägliches Leben ein erheblicher Inszenierungsgrad durchzieht. Er ist wohl der bunteste Vogel, der in der Migros Schwamendingen einkaufen geht: mit grellfarbenem Pink-Floyd-T-Shirt, mit ACDC-Lederjacke, Stiefeln, oder mit einem Jeans-Outfit, an welchem eine grosse Rolling-Stones-Zunge angenäht ist. Seine Hände schmückt er mit dicken Ringen. Und in seiner Plattensammlung fehlen keineswegs Elvis Presley, Rod Steward, Black Sabbath, überhaupt Heavy-Metal-Lärm.

Und wenn dann zwischen den einzelnen Akten Vogelsanger vor die Bühne tritt und seinen Gästen wort- und kenntnisreich die nächsten Szenen erklärt, so vermischen sich Opernstoff und Wirklichkeit vollends. In der Hauptrolle spielt Vogelsanger sich selbst, und er ist Lucia di Lammermoor und Rigoletto ebenso wie deren billig-kunstvolle Pappversionen, die auf dieser Minibühne herumzuckeln. Welch eine Summe von Rollen, welch eine Welt dort oben im zweiten Stock.


Nikolaus Wyss, Rigoletto im Puppenhaus, in: Das Magazin, 26./27. August 1988.