Fühlen

Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Charaktere lebten Paul und Fritz während mindestens 25 Jahren in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Fritz galt als ruhiger und gütiger Mensch; er war ein sachlich vermittelnder und zurückhaltender Stratege. Paul erwies sich als draufgängerisch und enthusiastisch, aber auch als starrköpfig, undiplomatisch, herrschsüchtig und schwermütig. Fritz wuchs nach dem frühen Tod seines Vaters in einem Frauenhaushalt auf und war glücklich mit seiner Familie und seinem Leben. Paul hingegen rieb sich an der elterlichen Frömmigkeit und Kontrolle. Er lehnte kirchliche Religiosität ebenso ab wie auf demokratischen Prinzipien beruhende Arbeit in den Gremien von Kultur, Gesellschaft und Staat. In religiöser Hinsicht dachte Fritz anders, jedenfalls in den späten Jahren: "So fühle ich mich wohl geborgen in diesen Beziehungen zu einer geheimnisvollen göttlichen Macht und in den Hoffnungen, die aus dieser Quelle fliessen."1 Fritz verstand seine Tätigkeit in der Öffentlichkeit als Dienst an der guten Sache. Er war ein akribischer und arbeitsamer Gelehrter, während Paul, nicht minder fleissig, zu Spekulation und poetischem Überschwang neigte.

Pauls Wankelmut im Leben geht aus einem seiner Gedichte hervor2:

Mit mir selber nicht geeinigt
Und von Sorgen aufgestört,
Stets von dunklem Schmerz gepeinigt,
Unverstanden, ungehört.
In des Zweifels Sorge schweben,
Was ich tun, was lassen soll,
Und so schwindet hin das Leben
Freudenarm und kummervoll.

Josef Burri, April 2016

1

Fritz Sarasin 1941, 47.

2

Zitiert nach Fritz Sarasin 1929, 23.