Coming-out: Schreikrampf ins Glück

Für den Eklat im Jahr 2002 braucht es wenig. Bei einer Besprechung im Team des offenen Klosters Fontaine-André bei Neuenburg reicht die schlichte Feststellung: "Pierre, heute geht es dir wirklich schlecht." Er beginnt zu schreien, wirft sich auf den Boden, hämmert mit den Fäusten. Seine Seele presst drei Worte in den Raum: "Ich. Bin. Schwul!" Augenblicke, die für Pierre Stutz zur Ewigkeit werden - in der er sich danach sehnt, sein Herz möge still stehen. "Zum Glück schlägt es immer noch." Pierre Stutz sagt es heute mit einem verschmitzten Lächeln, das andeutet, dass er diese Szene aus seinem Leben nun wie ein Zuschauer eines Films betrachten kann.

Doch damals ist seine innere Not gross. Je mehr Erfolg er mit seinen Büchern hat, desto trauriger wird er. Er spürt, dass sich das, was er schreibt, nicht mit dem deckt, was er lebt. Dass er im Begriff ist, als Kopie zu sterben, obwohl er als Original geboren worden ist. Dass er sich von seinen Ängsten drangsalieren lässt: von der Angst, abgelehnt zu werden; von der Angst, aus dem katholischen Milieu verbannt zu werden - und somit vor dem beruflichen Nichts zu stehen. Doch schliesslich ist das Leiden grösser als die Angst. "Ich wollte lieber Teller waschen als unter diesen Qualen leiden."

Das Team reagiert verständnisvoll auf seine Offenbarung. Einige haben es geahnt, doch wie in katholischen Kreisen oft üblich, ist darüber nicht gesprochen worden. Pierre Stutz schreibt einen offenen Brief an den Freundeskreis von Fontaine-André. Er wolle sich befreien von seiner Grundangst der homophilen Ausrichtung und diese von nun an verantwortungsvoll und partnerschaftlich leben. Viel Energie habe es ihn gekostet, seine Neigung geheim zu halten. "Aber Gott als Urgrund hat mich so wunderbar geschaffen und gestaltet." Das Echo auf diesen Brief sowie die Berichterstattung in den Medien ist immens: Pierre Stutz erhält 800 Briefe, fast alle wertschätzend.

Und Teller waschen muss er nicht: Seine Bücher verkaufen sich nun noch besser. Auch für Vorträge und Seminare sowie für spirituelle Begleitungen ist er ein gefragter Mann. Seine Sehnsucht, Leben und Liebe ganzheitlich zu teilen, erfüllt sich: Mit seinem Partner lebt er in Lausanne.

Marcel Friedli, Januar 2015