Würdigungsansprache von Oliver Fritz
Lieber Ernst, lieber Giovanni, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Anwesende
Die Frage, wie Text und Musik, Worte und Klang einander ergänzen, verstärken, verändern und bedingen, wurde durch die Jahrhunderte unserer Musikgeschichte bis heute immer wieder gestellt und neu beantwortet. Viel wurde darüber sinniert, ob und wie der Affekt, die Botschaft, der Inhalt und der Anspruch eines Gedichts oder eines Prosa-Textes mit Hilfe von Musik den Menschen noch eindringlicher übermittelt und noch intensiver nahegebracht werden könnten. Die Meinungen dazu gingen durchaus auseinander.
Nur, ohne das Lied, ohne den Gesang, wäre nicht nur so manches Gedicht für immer im Dunkel endloser Bibliotheks-Regale verschwunden, auch eine so dankbare Rolle, wie diejenige des Liedbegleiters wäre nie zu dem geworden, was sie ist: eine der schönsten Aufgaben, die es für einen Pianisten gibt.
Vor allem, wenn dieser Pianist einen Künstler wie Röbi Rapp begleiten darf. Das durfte ich, und es war ein Privileg.
Als wir uns ums Jahr 2000 herum kennen lernten, es war die Zeit der EuroGames und der KREIS-Ausstellung im Landesmuseum, da zog es euch, Röbi und Ernst, in die Öffentlichkeit. Ihr hattet euch entschieden, wieder sichtbar zu werden.
Das Programm "Der Menschliche Zirkus", gelangte wieder zur Aufführung. Es war kämpferisch, aufklärend, aber auch nostalgisch und liebenswürdig. Und es gab euch beiden, Röbi und Ernst, Lebensinhalt.
Du, Ernst, konntest deine Gabe ausleben, Menschen etwas nahe-, etwas beizubringen. Etwas zu berichten und zu erzählen über damals, über die Geschichten, die Umstände, die Leiden und Freuden jener Zeit der 50er und 60er Jahre im KREIS.
Aber für Röbi, den ich damals, wie wohl wir alle, als bescheidenen, zurückhaltenden, leisen Menschen kennenlernte, bedeutete dieses Programm erst einmal viel Arbeit! Er tat sich wieder das Auswendiglernen von Texten und Melodien an, die ganze Nervosität vor dem Auftritt, das Besorgen all der Kleider, das Bügeln, das Schminken. Warum?
Ganz einfach! Röbi wollte wieder auf der Bühne stehen. Denn das war seine grosse Passion, das trieb ihn an. Da verwandelte er sich. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er wurde zum Mittelpunkt, er strahlte. Seinem Blick auszuweichen, war nicht mehr möglich. Denn er dirigierte nun, er war nun der Dompteur. Er sang seine Lieder auf eine Art, der nicht zu entkommen war.
Denn Röbi war ein Bühnenmensch. Und er war ein Sänger. Natürlich beherrschte er auch seine gesprochenen Szenen. Unvergessen sind für mich Werner Wollenbergers "Madame Réclamier" oder das von Ernst verfasste Traum-Melodram um das Lied von Madame Adèle und natürlich die geniale Interpretation der grausamen Mutter eines schwulen Sohnes, die Röbi im "Vier-Uhr-Tee" gab. Das war grosse Meisterschaft.
Aber kaum durfte ich beginnen zu spielen, kaum kam der Einsatz der Musik im Klavier, da begann Röbis Körper zu schwingen. Da vollführte er einen kleinen Tanzschritt, da zwickte es in seiner Hüfte, da wippte er plötzlich im Takt. Und dann begann er zu singen. Musik zu machen, herauszulassen, was in ihm steckte, was in ihm klang. Und er öffnete dabei nicht nur seinen Mund, er öffnete in diesem Moment sein ganzes Herz. Sein ganzes grosses Herz, in das er sein Publikum hereinliess und einschloss.
Aber er tat auch etwas subtil Subversives dabei: Er stand nämlich als Mann auf der Bühne, der sich als Frau verkleidet hatte und als Frau auftrat. Nur, nach Kurzem fiel das gar nicht mehr auf! Auch der verstockteste Zuschauer empfand nach nur wenigen Minuten alles als ganz normal! Eine Natürlichkeit stellte sich ein, eine Selbstverständlichkeit der Situation.
Und woher kam das? - Es waren Röbis Professionalität, seine beherrschte Darstellungskunst, seine Fähigkeiten als quasi auf der Bühne des Lebens "ausgebildeter" Schauspieler, die es ermöglichten, dass alles ganz selbstverständlich wirkte. Denn alle waren nur fokussiert auf die Lieder, auf die Musik, auf den Text, die so intensiv und so direkt daherkamen, dass keine und keiner mehr über die Verkleidung nachdachte.
Und Röbi hatte Stil! Er wusste, wie viel es vertrug, wie viel Charme, wie viel Billigkeit, wie viel Kitsch, und wie viel Tiefe nötig waren, um zu verzaubern, zu fesseln, zu packen.
Und noch etwas gehörte zu Röbi: Er wollte stets Neues lernen, neue Lieder einstudieren, nicht nur in der Erinnerung an damals leben. Er wollte weiter gehen, seine Grenzen als Künstler und Darsteller selbst erforschen.
So kam es zu unserem zweiten Programm mit dem Namen "Wenn ich mir was wünschen dürfte". Hier standen Ambivalenz, Traum, Ungewissheit, die Zwischenwelt, und die Schattierungen des Sich-Darstellens im Vordergrund. Das Titel-Lied zu unserem Programm stammt von Friedrich Holländer, es ist, auch für den Pianisten, eines seiner schönsten. Ich zitiere aus dem Refrain:
"Wenn ich mir was wünschen dürfte,
Käm ich in Verlegenheit,
Was ich mir denn wünschen sollte,
Eine schlimme oder gute Zeit.
Wenn ich mir was wünschen dürfte,
Möcht’ ich etwas glücklich sein,
Denn wenn ich gar zu glücklich wär',
Hätt' ich Heimweh nach dem Traurigsein."
Das passte, das entsprach Röbis Wesen. Poesie, stimmungsvolles Wiegen, schwankend zwischen der Lust am grossen Gefühl und der Sehnsucht nach der kleinen Beschaulichkeit. Mit grosser Intensität hat Röbi dieses melancholische Lied gesungen. Und auch gar nicht immer gleich. Stets war er bemüht, es etwas zu variieren, neue Betonungen zu finden, die vieldeutigen Worte in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Seine Interpretationen dieses Liedes gehören zu meinen besonders bewegenden Erinnerungen an ihn.
Unser musikalischer Höhepunkt aber, das war nicht das Melancholische, nein, es war am Ende die grosse Geste, es war das Lied "Die Seltsame", das Sie alle kennen, denn es eröffnet und beschliesst den Film Der Kreis.
Auf "Die Seltsame" waren wir, und bin ich bis heute, richtig stolz! Denn es war erneut viel Arbeit! Zunächst haben wir Text und Musik ein wenig angepasst und eingerichtet, die überlieferten Noten liessen uns, ich will es mal so sagen, den nötigen Freiraum. Und Röbi musste üben, hoch und tief singen, Taktwechsel beherrschen, und am Schluss noch ein fast schon spektakuläres Finale hinlegen, zu dem wir das Ende des Liedes umgearbeitet hatten. Und er musste laut singen. Und den letzten Ton richtig lang aushalten. Ach, war das schön. Denn er hat es einfach gemacht. Er stand eben auf der Bühne. Und da waren keine Selbstzweifel mehr, keine Angst vor Grenzen, er sang einfach, was das Zeug hielt! Jetzt hörten alle ihm zu, jetzt durfte alles heraus, jetzt zeigte er es allen, jetzt sollten sie ihm zujubeln. Und sie taten es.
Ja, lieber Röbi, dieses Lied hast du wahnsinnig gut hinbekommen. Da hat sich das Üben gelohnt! Aber auch alles andere hast du richtig gemacht. Du hast dir selbst gezeigt, dass es keine Grenzen geben muss, wenn man nur weiss, was man kann, was man will und woran man glaubt. Röbi, ich danke dir von Herzen für die Zeit, die wir gemeinsam verbringen durften. Und am meisten für die Musik, die wir, du und dein Liedbegleiter, zusammen gemacht haben. Ich werde diese Musik hoffentlich noch lang in mir klingen hören. Das wäre meine schönste Erinnerung an dich.
Vielen Dank.