Newsletter 73
Januar 2016
Diese Ausgabe enthält folgende Themen:
- Kolumne: Gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare
- Network feiert den 20. Geburtstag
1996: "Schiebt uns nicht auf die lange Bank!"
eos. Am 9. Januar 1995, im internationalen Jahr der Toleranz, deponierten die schwul-lesbischen Verbände eine Petition im Bundeshaus. Sie trug den Titel "Gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare". Danach blieb es in Bern ein Jahr lang still und stumm. Am 6. Januar 1996, also heute vor 20 Jahren, stellten dieselben Verbände eine 40 Meter lange Bank auf den Bundesplatz. Darüber spannte sich ein gleich langes Transparent mit dem im Titel zitierten Satz. Doch in Bern schlief man weiter. Eine Wecker-Aktion am 17. August 1998 sollte den Justizminister Arnold Koller (AI, CVP) und die Räte endlich wachläuten. Die Wecker schellten laut und deutlich genau um fünf vor zwölf. Aber erst ein Jahr später packte die neu gewählte Justizministerin Ruth Metzler (AI, CVP) zu und brachte die Vorlage in die Räte. Sie eröffnete das Geschäft mit den Worten: "Meine Damen und Herren, heute geht es um Liebe!" Die Volksabstimmung über das Partnerschaftsgesetz führte 2005 zum Sieg, zehn Jahre nach Eingabe der Petition.
In einer Demokratie mahlen die Gesetzesmühlen langsam, das weiss jeder. Doch in einer direkten Demokratie mahlen sie noch langsamer. Denn es müssen nicht nur Politikerinnen und Politiker, es muss eine Mehrheit des Volkes überzeugt werden. Ist das Gesetz endlich da, dann ist es auch Realität in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger. Es gehört dann zu uns. Und die Ablehnenden sind weiterhin ernst zu nehmen; sie gehören auch zu uns. Nur so können sie die Mehrheit tolerieren. Meist sind Kompromisse und Zugeständnisse an die potentiell Ablehnenden bereits in die neuen Gesetze hineingenommen worden, dies im Prozess der Ausarbeitung. Doch Jahre später, wenn sich Ansichten und Meinungen im Volk verändert haben, können diese Kompromisse gelegentlich korrigiert oder sogar ausgemerzt werden.
Das wird jedem klar, wenn wir den Text der Petition zitieren. Verfasst wurde er Anfang 1994:
- Die Unterzeichner fordern die schweizerische Bundesversammlung (beide Kammern des Parlaments, Nationalrat und Ständerat) auf, die rechtliche Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare zu beseitigen.
- Gleichgeschlechtliche Paare, deren Beziehung auf Dauer angelegt ist, sollen grundsätzlich die gleichen Rechte erlangen können wie heterosexuelle Paare durch Heirat. Insbesondere sollen das Aufenthaltsrecht für die ausländische Partnerin / den ausländischen Partner und die Gleichstellung im Krankheits- oder Todesfall gewährleistet werden.
Das Partnerschaftsgesetz, wie es 2005 vom Volk beschlossen worden ist, hat die unter 1. geforderte rechtliche Gleichstellung nur teilweise verwirklicht. Die Forderungen unter 2. sind bei der Gleichstellung im Aufenthaltsrecht von ausländischen Partnerinnen/Partner bis heute im Bereich der erleichterten Einbürgerung unerfüllt geblieben. Das hier bestehende Problem ist erkannt, aber Vorstösse zur Änderung sind blockiert. Dies wegen der verlogenen CVP Initiative, über die am 28. Februar 2016 abgestimmt wird. Die Initiative soll die "Ehestrafe" der höheren Besteuerung abschaffen und definiert zugleich die Ehe per Verfassung als ausschliessliche Verbindung von Mann und Frau. Bei einer Annahme würden unsere Bemühungen für Rechtsgleichheit um zwanzig Jahre oder mehr zurückgeworfen, und die Schweiz stünde im europäischen Raum verfassungsmässig auf derselben Stufe wie Albanien und Weissrussland...
Die Petition für gleiche Rechte von 1994 wurde in acht Monaten von über 85 000 Menschen unterzeichnet. Sie war die erfolgreichste aller Petitionen jenes Jahres. Trotzdem blieb sie vier Jahre lang unbehandelt im Bundeshaus liegen. Die Aktion "Lange Bank" hob sie 1996 nicht aufs Pult des Justizministers, und die unüberhörbar läutenden Wecker von 1998 drangen nicht an seine tauben Ohren. Die Demo-Beteiligten stammten zumeist aus drei grossen Organisationen: Pink Cross (professionelles Schwulensekretariat und Dachverband, gegründet 1993), LOS (Lesbenorganisation Schweiz, 1989) und fels (Freundinnen/Freunde und Eltern von Lesben und Schwulen, 1996/1997). Einige der Demonstranten waren bereits oder wurden sehr bald Mitglieder einer neuen interkantonalen Vereinigung. Sie nannte sich "Network" - und das war Programm.
Mehr dazu ist hier nachzulesen: "Lange Bank", "Wecker"
Network feiert den 20. Geburtstag
eos. Im Januar 1996 fand die erste Generalversammlung statt. Der neue Verein Network konstituierte sich, genehmigte Statuten und wählte Präsident und Vorstand. Es sollte eine Verbindung von Schwulen in Führungspositionen entstehen mit dem Ziel, sich gegenseitig zu vernetzen und mit klar formulierten Aufträgen sowohl im Arbeitsbereich wie bei politischem Lobbying und in den Medien aktiv zu werden. Damit wollte man bestehende Organisationen wie Pink Cross unterstützen und ergänzen. Mitglieder von Network konnten in Handel und Wirtschaft, in sozialen, kulturellen, erzieherischen Bereichen Tätige oder Politiker, Militärpersonen, Forscher oder andere Führungskräfte sein. Und intern sollte Network wie ein Service Club mit vielseitigen Angeboten funktionieren. Die eigentliche Gründung verlief in Etappen.
Im Frühjahr 1995 trafen sich der Architekt Jan Willem van Lynden (1948-2013) und der Wirtschaftsjournalist Matthias Camenzind und stellten fest, dass sich für Schwule zwar einiges gebessert habe, aber die Lage im Berufsumfeld von schwulen Führungskräften unvermindert repressiv sei. Freie Entfaltung werde behindert. Das sei zu ändern, nicht irgendwann, sondern jetzt. Bald erfolgte eine weit gestreute Einladung zu einem Apero, der im Juni mit über 70 Kaderleuten und selbständig Arbeitenden aus verschiedensten Branchen stattfand. Es ergaben sich konkrete Kontakte, so dass am 16. September 45 Interessierte zur Gründung eines Vereins zusammenkamen und beschlossen, Anfang des neuen Jahres eine erste konstituierende Generalversammlung abzuhalten. Das geschah am 26. Januar 1996. Es war die Geburtsstunde des Vereins Network.
Mehr dazu: Verein NETWORK, Gründung