Newsletter 87
April 2017
Dieser Newsletter enthält folgende Themen:
- Hans Mayer: Jude, Kommunist, Flüchtling
- Lesben-Zeitschrift digitalisiert
Hans Mayer: Jude, Kommunist, Flüchtling
eos. Hans Mayer war 27, hatte das Studium als Jurist in seiner Vaterstadt Köln abgeschlossen und interessierte sich für Literaturwissenschaft. Er war Deutscher und fühlte sich als Deutscher, brauchte jedoch, um überleben zu können, ein nazifreies Land. Dazu wählte er die Schweiz. Seine Eltern wurden beide in Auschwitz ermordet. Nach elf Jahren verliess er das Exil als bekannter Mann und baute seine Karriere im Nachkriegs-Deutschland auf, von 1948 bis 1963 in der DDR, danach in der BRD. Geboren wurde er 1907, also vor 110 Jahren, und mit 94 (2001) setzte er seinem Leben ein Ende: es sei genug, er verweigerte Nahrung und Flüssigkeit.
Die Verfolgung erlebte er schon 1933 mit einem Berufsverbot. Er floh ins Elsass und reiste ein Jahr später nach Genf, wo er als Sozialforscher Aufträge erhielt und sich für das Studium der Literaturwissenschaft vorzubereiten begann. Schon hier weckte der geniale deutsche Dichter, Schriftsteller, Naturwissenschafter und Revolutionär Georg Büchner (1813-1837) seine Aufmerksamkeit. Zugleich lebte Mayer offen schwul und kam auf seinen Streifzügen durch die Parks am See mit der Polizei in Kontakt. Er hatte Glück, denn in Genf galt noch (bis 1942) das napoleonische Strafgesetz, das homosexuelle Akte nicht erwähnte. Unsittliches Verhalten in der Öffentlichkeit stand natürlich auf einem anderen Blatt. Das gab Verwarnungen. Die Einführung des gesamtschweizerischen StGB per 1. Januar 1942 brachte eine Verschärfung für Genf, was dem Juristen Mayer hätte klar sein müssen. Aber der Freigeist und bereits recht berühmte 35jährige folgte unbekümmert seinen Trieben, bis die Behörden ihn, den Emigranten, stoppten. Es kam zu halbjährigen Internierungen in Strafanstalten der deutschsprachigen Schweiz, zunächst in Witzwil, dann in Lenzburg. Nach der Entlassung hatte er bis zur Ausreise im November 1945 in Flüchtlingslagern zu wohnen. Das alles war juristisch kaum völlig korrekt und sicher nie so schön und leicht wie die Jahre in Genf. Doch über Negatives schwieg er sich aus, vielleicht auch deshalb, weil er über kommunistische Kanäle gut informiert war und wusste, was im übrigen Europa mit seinesgleichen geschah.
Denn die schweizerischen Lager waren relativ offen, und es stand ihm frei, kulturellen Tätigkeiten auch weit ausserhalb der festgelegten Unterkunft nachzugehen. So war Hans Mayer Mitglied des Vorstandes der Kulturgemeinschaft der Emigranten in Zürich und hielt Vorträge an diversen Orten. Zudem beendete er die erste Fassung eines Werkes über Georg Büchner. Bald aber wurde er wegen all diesen Aktivitäten und den Verbindungen zu antifaschistischen und linken Kreisen vom Schweizerischen Vaterländischen Verband (SVV, 1919-1948), einem Netzwerk rechtsbürgerlicher Kräfte, angegriffen; via Justiz- und Polizei-Departement (Justizministerium) in Bern wollte man ihn mundtot machen, was jedoch misslang.
Nach dem Schweizer Exil kehrte Hans Mayer nach Deutschland zurück, in die US-Besatzungszone, wo ihn die Amerikaner zum Kulturredaktor der (neuen) Deutschen Nachrichten-Agentur und später zum Chefredaktor von Radio Frankfurt machten. 1948 wechselte er in die Sowjetische Zone. In Leipzig erhielt Mayer eine Professur für Literaturwissenschaft. Es gibt einen Abschnitt in seinem autobiografischen Werk "Ein Deutscher auf Widerruf", erschienen 1982, wo er sich zum halbjährigen Aufenthalt in der Strafanstalt Lenzburg äussert: dort sei ihm die Grundlage einer soliden literarischen Bildung ermöglicht worden, "denn die Lenzburger Bibliothek war gut". Er selber war inzwischen so bekannt, dass er meist rasch die Bewilligungen erhielt, um in beiden deutschen Staaten arbeiten und Vorträge halten zu können. Dies, bis er endgültig in die BRD umzog (1963) und in Hannover von 1965 bis 1973 als Professor für Deutsche Literatur wirkte. Danach war er Honorarprofessor in Tübingen, wo er bis zu seinem Tod wohnhaft blieb.
Von den über vierzig Büchern, die Hans Mayer veröffentlichte, heisst eines der wichtigsten "Aussenseiter" (1975). Es handelt von drei Gruppen von Menschen und ihrer literarischen Darstellung: von Frauen, Juden und Homosexuellen, und es wird klar, dass er sich selbst zu den beiden letzteren zählt. Einem anderen Buch gab er den Titel "Der Turm von Babel" (1991). Dieses Werk ist eine Art Nachruf auf die DDR, die er über viele Jahre für den besseren der beiden deutschen Staaten hielt, wohl auch, weil die DDR frei war von wieder eingestellten Nazis in allen staatlichen Bereichen vom Justiz- und Polizeibeamten bis zum Volksschullehrer, weil sie konfessionslos und atheistisch war und auch, weil die berüchtigten Hitler-Verschärfungen des Paragraphen 175 aus dem Strafgesetz gestrichen wurden. Eine zentrale Aussage in diesem Nachruf lautet:
"Das schlechte Ende widerlegt nicht einen möglicherweise guten Anfang."
Lesben-Zeitschrift digitalisiert
Die Schweizer Zeitschrift Lesbenfront sowie ihre Nachfolgeorgane sind voll digitalisiert und im Internet zugänglich. Die einzelnen Beiträge können als PDF heruntergeladen werden. Zur Verfügung steht ebenfalls eine Stichwort-Suche. Das Angebot wurde von der ETH-Bibliothek bereitgestellt, die schon zuvor den Kreis digitalisiert hat.
Die einzige deutschsprachige Lesbenzeitschrift aus der Schweiz erschien während 30 Jahren in Zürich von 1975 bis 2005. Sie wurde zuerst von der Homosexuellen Frauengruppe Zürich und, nach deren Auflösung 1980, von der jeweiligen Redaktionsgruppe herausgegeben. Die Redaktion war unabhängig und hatte ihren Sitz im Frauenzentrum Zürich. Von 1975 bis 1985 wurde die Zeitschrift über den Frauenbuchvertrieb Berlin auch in Deutschland und Österreich verkauft, danach nur über Abonnemente sowie Direktverkauf in der Schweiz. Die Zeitschrift erschien nacheinander unter vier verschiedenen Namen: Lesbenfront (1975-1986), Frau Ohne Herz (1986-1995), die (1996-2003) und Skipper (2004-2005).