Newsletter 94

November 2017

Dieser Newsletter enthält folgende Themen:

  • 20 Jahre fels - Zusammen sind wir ein Drittel der Bevölkerung
  • Derrik Olsen: Ein Sänger ohne Berührungsängste

   

20 Jahre fels - Zusammen sind wir ein Drittel der Bevölkerung

eos. Zuerst war es eine Frau, die ihre Mutterliebe über das Schwulsein ihres Sohnes stellte und ihn akzeptierte, nachdem sie lange damit gehadert hatte. Anderen Eltern musste es ähnlich gehen, dachte sie, und ein Zusammenfinden in einer Gruppe würde für alle hilfreich sein. Ab 1976 führte sie deshalb eine Elternkontaktstelle. Aber nur ganz wenige konnten ihre Scheu vor der Öffentlichkeit ablegen; sie war die einzige, die wirklich hinaustrat. So blieb die Kontaktstelle ein bescheidenes Grüppchen. Nach fast acht Jahren war sie müde und gab auf. Erst dreizehn Jahre später, 1997 entstand eine neue Elterngruppe, die sich bald zu einer öffentlich wahrgenommenen Organisation entwickelte: fels - Freundinnen, Freunde und Eltern von Lesben und Schwulen. Jetzt war die Zeit reif und die Menschen eher bereit, Homosexuelle als Mitbürger wahrzunehmen. Das Gründerehepaar scheute keine Medien und schaffte als erstes ein "Coming Out der Eltern". Es stand nicht mehr die Selbsthilfe im Vordergrund, es ging jetzt um Politik.

Dennoch: Jene tapfere Mutter mit ihrer Kontaktstelle, Irma Krieg, sie bleibt die Pionierin, die erste, die ihr Kind auf seinem speziellen Lebensweg nicht allein lassen, sondern es unterstützen wollte und diese Haltung öffentlich machte. Damit ebnete sie den Weg, auf dem die Späteren gehen konnten, um ihn auszubauen. Die festen Ansichten und Meinungen veränderten sich, wie die Revision des Strafgesetzes (1992) zeigte und auch die bevorstehende Abstimmung über die revidierte Bundesverfassung (1999) liess erahnen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Vorteile im toleranteren Miteinander entdeckt hatte. 

Im Abstimmungskampf von 1992 hatten die Aktivisten der schwulen Organisationen wie die vereinzelten aktiven Lesben gemerkt, wie nötig eine Mobilisierung der Eltern wäre, um das zukünftige grosse Anliegen nach gleichen Rechten für alle anzugehen und gesetzgeberisch zu lösen. Nun wurden vorerst die eigenen Gruppierungen gestärkt und dann die Eltern wie Geschwister, Freunde und Freundinnen einbezogen. 

In diesem Umfeld sahen sich Hanna und Walter Keller vor 20 Jahren, als sie fels gründeten. Sie machten sich grundsätzliche Gedanken: 

  • Wollen wir als Eltern hinnehmen, dass unsere lesbische Tochter, unser schwuler Sohn ausgegrenzt wird und nicht dieselben Chancen im beruflichen Werdegang hat, wie es für unsere heterosexuellen Kinder selbstverständlich ist? 
  • Will ich zulassen, dass mein schwuler Bruder, meine lesbische Schwester schlechter behandelt wird als ich? 
  • Auch wir Freunde und Eltern sind von der Diskriminierung gegen Homosexuelle betroffen. Daraus ergibt sich eine Verdrei- oder Vervierfachung der Anzahl Bürgerinnen und Bürger, die direkt für die Anliegen von Schwulen und Lesben angesprochen werden können. Wenn fünf bis sieben Prozent der Menschen homosexuell sind, stellen Schwule, Lesben, deren Freundinnen/Freunde und Eltern zusammen bis zu einem Drittel der Gesamtbevölkerung, eine Gruppe, die nicht ignoriert werden kann.  
  • Eltern, Geschwistern und Verwandten wie auch anderen Freunden wird eher zugehört als wenn Homosexuelle an Demos oder Festlichkeiten einen Stand betreiben, denn zwischen uns und anderen Heterosexuellen gibt es keinen Unterschied. Hier kann sich niemand sozusagen guten Gewissens einfach wegschleichen.

Aufgrund dieser Überlegungen fanden das Ehepaar Keller rasch andere Freundinnen, Freunde und vor allem Eltern, die sich überzeugen liessen und aktiv wurden. Davon berichtet die Geschichte der Organisation. 

Hier und auf weiteren dazugehörenden Seiten mehr dazu:

Derrik Olsen: Ein Sänger ohne Berührungsängste

jb. Derrik Olsen wäre es beinahe so ergangen wie vielen anderen schwulen Männern und lesbischen Frauen: Nach ihrem Tod erinnert sich schon bald niemand mehr an sie. Glücklicherweise hat Ines Ochsenbein, die Cousine des Sängers, Gesangspädagogen und Orchesterleiters Olsen, seinen Nachlass aufbewahrt, so dass wir heute auf sein Leben und seinen Beitrag für das musikalische Leben des 20. Jahrhunderts zurückblicken können. Bern war seine Geburtsstadt, und in Bern ist er gestorben. Dazwischen legte er eine glänzende Laufbahn als Sänger hin, wobei er besondere Verdienste durch die Uraufführung zahlreicher zeitgenössischer Kompositionen erwarb. Wäre er nicht schon früh durch eine Krankheit behindert worden, hätte seine Karriere wohl nicht die Wende zum Gesangspädagogen und künstlerischen Leiter des damaligen Radioorchesters Beromünster genommen. Weit über hundert Schülerinnen und Schüler verdanken ihm den letzten Schliff in der Stimme. Er holte eine ganze Reihe von namhaften Dirigenten nach Zürich und war ein geschätztes Mitglied eines internationalen künstlerisch-kulturellen Netzwerks. Er kannte keine Berührungsängste, weder vor den Tücken vertrackter moderner Musik noch vor exponierten Opernpartien und schon gar nicht vor der bunten Palette, die das Menschengeschlecht auszeichnet.

Derrik Olsen