Newsletter 100

Mai 2018

Diese Ausgabe enthält folgende Themen:

  • Zur 100. Ausgabe des Newsletters 
  • Die neunundzwanzig Jahre des Ursus Clubs Bern begannen 1968
  • Im Sumpf der grossen Stadt: 5. Mai 2018 im Neumarkt-Theater   

      

Zur 100. Ausgabe des Newsletters

Liebe Vereinsmitglieder

Lieber Leser, liebe Leserin

cdg. Es ist soweit, nach mehr als acht Jahren schickt der Verein schwulengeschichte.ch, mit dem Datum 5. Mai 2018, seinen 100. Newsletter ins Netz. Die erste elektronische Post ging im November 2009 an einige Dutzend Mailadressen, seither hat sich die Zahl der Abonnenten und Abonnentinnen in und ausserhalb der Schweiz auf 170 erhöht.

Acht Jahre sind eine lange Zeit. Und niemand hätte am Anfang gedacht, dass es so lange währen würde. Das Ziel ist es auch weiterhin, einmal im Monat über die Arbeit hinter den Kulissen der Website zu berichten und mindestens ein Thema aus dem bunten Feld der LGBT-Geschichte aufzugreifen, das dann hoffentlich zum Herumstöbern und Festlesen auf der Website verlockt.

Unzählige Stunden Freizeitarbeit wurden geleistet. Ein riesiger Dank an alle Leser und Leserinnen, Mitarbeiter, unseren Chefredaktor Josef Burri, unseren Newsletter-Verantwortlichen Hans Peter Waltisberg und insbesondere Ernst Ostertag für seinen unermüdlichen Einsatz von Anfang an!

Im digitalen Archiv sind alle Ausgaben des Newsletters abrufbar. Ein Blick ins Archiv ist keineswegs obsolet. Sie finden dort die unterschiedlichsten Geschichten und Porträts, die von Liebe und Hass, Dramen und Tod, Kampf, Niederlagen und Erfolg erzählen. Dieses Potpourri illustriert Emanzipation von Männern, die Männer lieben. Eine Emanzipation, die auch heute noch immer wieder neu gelebt werden muss.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein grösstmögliches Vergnügen beim Stöbern, Lesen und Sinnieren.

Christian D. Grichting, Präsident, Verein schwulengeschichte.ch

Über Lob, Anregungen oder auch Kritik freue ich mich. Schreiben Sie mir einfach eine E-Mail

Die neunundzwanzig Jahre des Ursus Clubs Bern begannen 1968

eos. Es dauerte länger, bis die "Schwulitas Bernensis" erwachte und sich - noch ganz im Privaten und Verborgenen - zusammenfand. Sie tat dies im schwer zugänglichen Keller des letzten Hauses ganz unten in der Junkerngasse, das allerdings die Nummer 1 trug, weil die Berner vom Bärengraben her zählen. Und so war der Name von Anfang an klar: Ursus hiess der Club. Er entwickelte sich nur langsam - Nomen Omen est - kam dann aber in Fahrt, hatte nach zehn Jahren 650 Mitglieder und galt am 25. Jubiläum 1993 als "grösster Verein schwuler Männer in der Schweiz". Doch zur selben Zeit begann sich die allgemeine Befindlichkeit gegenüber Schwulen zu ändern. Dieser Prozess beschleunigte sich zum Glück, selbst in Bern. So war ein Refugium wie "der Ursus" am stillen Rand der Altstadt immer weniger gefragt, weil zentraler gelegene Treffpunkte entstanden, die zugleich breitere Auswahl boten. Ende 1997 kam es zur Liquidation des Clubs und zur Auflösung des Vereins. 

Der Ursus war die erste über Jahrzehnte aktive Organisation von Schwulen in der Bundesstadt und spielte nach Mitte der 1980er Jahre zusammen mit der 1972 entstandenen Homosexuellen Arbeitsgruppe Bern (HAB) eine wichtige Rolle in der Aids-Prävention und, unter Führung der HAB und anderen schwulen Organisationen, auch in den anschliessenden politischen Vorstössen, die 1992 zur Annahme des revidierten StGB (Eidgenössisches Strafgesetzbuch) führten. Diese gewonnene Volksabstimmung war ein Meilenstein und brachte endlich die Angleichung des Schutzalters für Männer zu jenem der Frauen (eine Senkung von 20 auf 16 Jahre), die Aufhebung des Verbots männlicher Prostitution und im Militärstrafgesetz die Aufhebung des bisherigen Verbots jeglicher homosexueller Handlungen. 

Die meisten Mitglieder des Ursus Clubs standen politisch stramm auf bürgerlicher Seite und lebten verschwiegen privat, wenn es ums Schwulsein ging. Sie wollten sehr lange keinesfalls emanzipatorisch tätig werden. Sowas machten in Bern die militanten "HABitzen", die sich sogar mit den extrem linken Kräften der POCH, den Progressiven Organisationen der Schweiz, eingelassen hatten. Für die HAB-Leute ihrerseits waren die Leute des Ursus schwulenpolitische Blindgänger und uninteressierte "Kommerzschwestern". Zwischen beiden Gruppierungen herrschte lange ein "Kühler Krieg", der erst mit der Bedrohung durch Aids eingestellt wurde. 

Werfen wir einen Blick auf die Zeit vor der Gründung des Ursus Clubs: Röbi Rapp und ich erinnern uns an ein Treffen mit Rolf / Karl Meier, dem Leiter des KREIS; seinem Lebenspartner Fredi / Fredi Brauchli; dem Redaktor des englischen Teils der Zeitschrift, Rudolf / Rudolf Jung, und dem Kassier, André / Eduard Meier. Es waren noch einige andere Abonnenten dabei und man traf sich Ende 1964 im KREIS-Büro. Dies nach einer Probe für das Weihnachtsspiel, das im Saal eines Restaurants im ländlichen Bonstetten über die Bühne gehen sollte. Nichts mehr war sicher damals, man hatte uns einmal mehr ausgeladen von der Lokalität, in der wir seit dem Zürcher Tanzverbot im Exil "hausten", und das Stück war ein eher finsteres. Es handelte von Flüchtlingen. Doch Rolf und die anderen waren ungewohnt heiter, kündigten eine Überraschung an für das Zusammensitzen nach der Probe. Dann ging es los: Ein Kamerad aus Bern wolle etwas wie die Basler Isola realisieren, ein privates Clublokal, das als "KREIS Bern" existieren solle. Dieser Kamerad habe die KREIS-Leitung zu einem festlichen Abend in den Keller seines Hauses eingeladen. Und den Keller wolle er zum Club ausbauen. Die Lage sei hervorragend, Nähe Bärengraben, also zentral und doch verschwiegen, mit separatem Eingang. Allerdings gebe es noch viel zu tun bis zur Eröffnung. Aber der Kamerad sei ein Typ wie der Basler Ernest, einer mit Ideen und dem Zeug dazu, sie zu realisieren. Auch das Finanzielle stimme. 

Erst etliche Jahre später lernte ich diesen Berner kennen, Peter Heller. Die Ausbauarbeiten des Kellers und die Gründung eines Vereins waren erst ein Jahr nach Auflösung des KREIS fertig gestellt und behördlich abgenommen. Nun suchte der Ursus Club den Anschluss bei der KREIS-Nachfolgeorganisation Verein Club 68. Drei Jahre später, mit der Namensänderung des Vereins Club 68 zu Schweizerische Organisation der Homophilen (SOH) wurde der Ursus 1971 neben dem Zürcher Conti-Club und dem Basler Isola-Club zu einem der drei SOH-Städteclubs. Doch während sich der Zürcher und der Basler Club bald weiter öffneten und sich einerseits mit den Behörden verständigten, andererseits der Schwulenbewegung in gemässigter Form anschlossen, ging der Ursus Club lange den Weg eines abgesicherten Ghettos für ausgewählte verschwiegene Mitglieder, also einer Art Schwulen-Loge. Ein Beispiel wohl für die Vielfalt, in der sich im Spannungsfeld zwischen repressiven Bedingungen und lockerer werdenden Sitten schwules Clubleben gestaltete. Dabei muss man wissen, dass in Bern die Homo-Registrierungen munter weitergeführt wurden, obwohl sie die Stadt Bern 1980 offiziell als beendet und die Register für vernichtet erklärt hatte. Das geschah hoch geheim durch die Berner Kantonspolizei - und zwar noch weitere volle zehn Jahre lang, bis das System aufflog.  

Mehr zur Geschichte des Berner Ursus Clubs hier und in den folgenden sechs Webpages:

Ursus Club, Bern

Im Sumpf der grossen Stadt: 5. Mai 2018 im Neumarkt-Theater

Im heutigen Neumarkt-Theater, dem ehemaligen Saal zur Eintracht, wo DER KREIS seine international bekannten und berüchtigten rauschenden Ballnächte feierte, treten Ernst Ostertag und Röbi Rapp auf und nehmen uns mit auf eine Reise durch die schwule Geschichte Zürichs. Mit Travestiekunst, zeitgenössischen Stimmen, Zeitungsnotizen und Kommentaren wird ein Bild der andauernden und unerbittlichen, politisch motivierten Polizeikampagne gezeichnet, die mit dem Tanzverbot für Männer das Ende des KREIS herbeiführte. Sie erleben einen facettenreichen Rückblick auf die generationenübergreifende schwule Emanzipationsgeschichte.

Theater Neumarkt, Sa, 5. Mai 2018, 11 Uhr und 20 Uhr