Newsletter 104
Spezialausgabe
Diese Ausgabe enthält folgendes Thema:
- Zum Tod von Röbi Rapp
Zum Tod von Röbi Rapp
jb. Eine alte Zigeunerin in Spaniens Süden sprach 1959, nachdem sie Röbi Rapp und Ernst Ostertag in die Augen gesehen hatte, zu den beiden: "Liebe ist ein Feuer. Lasst es ewig brennen!" Das Feuer loderte bis heute. Diese Liebe zueinander entflammte 1956. Erst 2003 waren sie auch "offiziell" ein Zürcher Paar, als sie ihre Partnerschaft im Zivilstandsamt "eintragen" liessen. 2007 "heirateten" sie dann ein zweites Mal, um auch national als Paar zu gelten. Zum Duo gesellte sich 2003 noch ein dritter, Giovanni Lanni, der den beiden u.a. mit dem Auto bequemes Reisen durch halb Europa, aber auch in Kalifornien und zuletzt auf der Insel Teneriffa ermöglichte, denn selber Auto fahren hatten sie nie gelernt. In bildlicher Verkürzung ausgedrückt: Röbi bespielte die Bühne; Ernst lieferte die Texte und schob die Kulissen herum, und Giovanni betätigte die Kamera.
Röbi durfte mit Hilfe von Exit am letzten Sonntagabend, am 26. August 2018, nach einem reich erfüllten Leben und nach einer langen Leidenszeit ruhig und friedlich zu Hause einschlafen.
Schon nachdem Röbi 1930 geboren worden war, zog er die Aufmerksamkeit in der Frauenklinik des Kantonsspitals Zürich auf sich: Denn seine Mutter musste ihn dort zurücklassen, weil sie selbst wegen Tuberkulosegefährdung im Sanatorium in Wald weilte. Nach ersten Einsätzen am Schauspielhaus Zürich, auf der Landesausstellung von 1939 und am Stadttheater (Opernhaus) spielte der zehnjährige Röbi die Hauptrolle im Schweizer Spielfilm "Das Menschlein Matthias" (1941) von Edmund Heuberger: Es ist die melodramatische Geschichte eines unehelichen Buben, der bei der lieblosen Schwester seiner Mutter aufwächst, aber von einer intakten Familie träumt und alles dafür tut, damit der Traum wahr wird. Mit dieser filmischen Liebesgeschichte wurde aus dem in Zürich aufgewachsenen Röbi mit deutschem Pass ein "Schweizer Kinderstar".
Unter anderen Umständen wäre für Röbi eine Bühnenkarriere vorgespurt gewesen; denn er war zweifellos begabt. Doch nach dem Tod des Vaters im Jahre 1937 musste seine Mutter das Brot als Putz- und Waschfrau verdienen. Daneben arbeitete sie als Garderobenfrau im Schauspielhaus. Das Geld reichte nicht für eine künstlerische Ausbildung ihres Sohnes. So machte Röbi nach seinem Schulabschluss im Jahre 1946 eine Lehre als Herren- und Damen-Coiffeur. Auch in diesem Metier war Röbi durchaus erfolgreich, arbeitete er doch 1959 als Fachlehrer an einer Zürcher Coiffeur-Schule und 1964 als Vertreter der Firma Schwarzkopf im Nahen Osten, bis es ihm im selben Jahr gelang, ein eigenes Coiffeur-Geschäft in Zürich zu eröffnen. Sechs Jahre später musste er diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Ab 1971 war er - umgeschult - als Dokumentalist bei der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft (heute Swiss Re) in Zürich angestellt. Dort gefiel es ihm sehr gut und seine Dienstbereitschaft wurde überall geschätzt.
Die Bühne übte auf ihn immer eine grosse Faszination aus: Ab 1949 trat er, damals noch minderjährig, bei Veranstaltungen im KREIS auf. Dort traf er erstmals 1956 auf seinen späteren Lebenspartner Ernst, der in ihm ein "androgynes Wesen aus einer Zauberwelt" erblickte. Die beiden waren häufig als Zuschauer am Schauspielhaus und im Opernhaus in Zürich zu sehen. Am Royal Shakespeare Theatre in Stratford-upon-Avon besuchten sie von 1958 bis 2010 immer wieder die Vorstellungen des Sommerprogramms. Ab 2000 kehrte Röbi gelegentlich auf die Bühne zurück: Er wollte mit seinen Chansons und Travestien die "alte Zeit" der KREIS-Feste aufleben lassen und dokumentieren. Zum Höhepunkt dieser Tätigkeit geriet der vielfach ausgezeichnete Doku/Fiction-Film "Der Kreis" (2014) von Stefan Haupt. Darin trägt Röbi sein Lieblingslied vor, worin es heisst (Text: Peter Munk, Pseudonym für Hans Sahl; Musik: Robby Frey):
"Ich bin so seltsam, ach,
Wie bin ich seltsam, oh!
Ich weiss vor lauter Seltsamkeit kaum mehr,
Ob ich noch lebe oder nur ein Traum wär',
Ich glaube fast, ich bin ein Teddy-Bär..."
Der Beitrag Röbis für die Website schwulengeschichte.ch wird oft unterschätzt, weil die Texte dazu weitgehend von Ernst stammen. Doch Röbi wirkte in mehrfacher Hinsicht mit: Er war neben Ernst sozusagen das zweite Gedächtnis und das dritte Auge der Schweizer Schwulengeschichte im 20. Jahrhundert. Seine Erinnerungen flossen in die Ernst-Texte ein. Er trug unzählige wichtige Dokumente der Schwulengeschichte zusammen und betreute das Fotomaterial für die Website.
Auf der Bühne lebte Röbi auf. Es war seine Welt. Daneben wirkte er immer äusserst bescheiden und zurückhaltend. Er strahlte eine ungezwungene Freundlichkeit und eine Spur Noblesse aus. Ohne Zweifel hat seine Beschäftigung mit dem Buddhismus, den er vor allem auf Reisen in Indien und Nepal kennen und schätzen gelernt hatte, auf ihn abgefärbt und seine Zurückhaltung im persönlichen Umgang geprägt. Ab 1990, nach seiner Pensionierung, engagierte er sich für ein Hilfswerk in Nepal. 1994 fand er Aufnahme in die aus Tibet stammende buddhistische Karma-Kagyü-Schule. Schon lange zuvor sprachen Röbi und Ernst die dreifache buddhistische Zufluchtsformel: "Ich nehme meine Zuflucht zu Buddha. Ich nehme meine Zuflucht zur Lehre. Ich nehme meine Zuflucht zur Mönchsgemeinde." Im Buddhismus fanden beide eine ethische Aussage vor, die ihrer natürlichen Mitgift der gleichgeschlechtlichen Liebe entsprach: "Wir üben, die Beziehungen der Menschen zu achten und nicht zu verletzen."