Newsletter 108

Dezember 2018

Diese Ausgabe enthält folgende Themen:

  • 1968, das erste Jahr der Zeitschrift club68 und der gesellschaftliche Umbruch
  • Die Trauerreden zum Abschied von Röbi Rapp

1968, das erste Jahr der Zeitschrift club68 und der gesellschaftliche Umbruch

eos. Der Umbruch erreichte uns allerdings erst später und bis zur Schwulenbefreiung dauerte es noch länger. Aber die Zeichen waren zu sehen und einige konnten sie deuten. Einer davon war der Chefredaktor Carl Zibung zusammen mit seinem Team, das für den Inhalt von club68 zeichnete. Was uns antrieb war die Wut, die sich in den Jahren der Repression, der Willkür und der allgemeinen Homophobie angestaut hatte. Wir wussten, es war Zeit für eine Wende. Unsere kleine Zeitschrift war das Mittel, das zur Verfügung stand, und die 600 Abonnenten die Schrittmacher auf dem Weg. Ihnen galt es, die Zeichen verständlich und unsere Deutungen nachvollziehbar zu machen und auch neue Akzente zu setzen, in Wort und Bild. 

Wir, die Mit­glie­der des club68-Teams, waren fast alle in den 1930er Jahren geboren, hatten als Kinder oder Halb­wüch­si­ge den Zweiten Welt­krieg erlebt mit seinen Ent­beh­run­gen, der Un­si­cher­heit und dem do­mi­nan­ten Über­le­bens­wil­len. Wir waren auch geprägt vom Aufbruch der Hoffnung mit offenen Grenzen und grosser Freiheit nach Kriegs­en­de. Drei kurze Jahre lang. Dann senkte sich der Eiserne Vorhang, trennte Europa, und das Denken in Ka­te­go­ri­en, hier gut, dort böse, es war wieder da wie ein eisernes Korsett. 

Wieder waren es die in zwei Kriegen ge­stähl­ten Väter, die be­stimm­ten. Ei­gent­li­che Väter, die mensch­lich mit­füh­rend-mit­lei­ten­den Vorbild-Väter, die gab es nicht. Und wenn es welche gab, waren sie - im Grund halt doch - in mi­li­tä­ri­schem Denken ver­haf­tet. Die harte Zeit hatte sie nicht wachsen und wirken lassen. Im Kalten Krieg galt es wiederum ums Überleben. Wie konnte Europa über­le­ben, im Osten am­pu­tiert, im Westen vom Grossen Bruder jenseits des At­lan­tiks mit seiner cal­vi­nis­ti­schen Ethik des Geld­ver­die­nens fest umfangen. Die einzelne Familie hatte zu funk­tio­nie­ren. Dafür waren die Mütter da. Vater machte. Er machte den Schutz, das Wirt­schafts­wun­der, das Haus­halts­geld, die Ruhe-und-Ordnung-Politik. Wir Jungen hatten zu spuren. Jeder und jede hatte zu spuren. Für Ab­weich­ler gab es keinen Platz. Oder doch?

Ich war 17 und hörte von einem Ju­gend­treff, nicht die Junge Kirche, die ich unter Aufsicht des Pfarrers leiten durfte, nein, in dem Ju­gend­treff seien Junge, die sich selber or­ga­ni­sier­ten, in einer Scheune an der Limmat beim Draht­schmid­li. Da wurde ich Mitglied. Ein Jahr später, 1948, gelang es den Älteren, fast schon Er­wach­se­nen, einen Schüler-Aus­tausch Zürich-Ams­ter­dam zu or­ga­ni­sie­ren. Es klappte. Mein Vater war ein­ver­stan­den, doch das Geld dazu musste ich auf dem Bau selbst ver­die­nen. Also, Früh­lings­fe­ri­en: arbeiten, Som­mer­fe­ri­en: reisen. Es wurde meine erste Fahrt ins Ausland und das nur drei Jahre nach dem Krieg. 

In Ams­ter­dam wohnte ich bei einer jü­di­schen Familie, die von 1940 bis 1944 zwischen den Brand­mau­ern zweier Häuser überlebt hatte, heimlich versorgt von Nachbarn. Diese kul­tu­rell hoch in­ter­es­sier­te Familie und die übrigen Be­geg­nun­gen mit Nie­der­län­dern prägten mich. Es war die fas­zi­nie­rends­te Zeit meines noch jungen Lebens. Im Draht­schmid­li-Club dis­ku­tier­ten wir mo­na­te­lang über die ge­mach­ten Er­fah­run­gen. Wir emp­fan­den die Nie­der­län­der als sehr viel auf­ge­schlos­se­ner ge­gen­über Neuem, gemessen an unserer ge­wohn­ten und ge­schon­ten Umgebung - wohl wegen ihren Er­leb­nis­sen mitten in den Zer­stö­run­gen des Krieges und den Schre­cken der Be­sat­zung. Sie hatten radikale Ideen von einer offenen Ge­sell­schaft und begannen mit deren Um­set­zung. Wir wollten es ihnen nach­ma­chen und vor­läu­fig zu­min­dest einen Freiraum für uns schaffen. Anfragen bei der Stadt, der das Grund­stück gehörte, stiessen auf In­ter­es­se, aber mehr als nette Worte und Ver­spre­chen auf "später, bei weniger an­ge­spann­ter Lage" gab es nicht. So schlief unser Club ein. 

Es ver­gin­gen fast zwanzig Jahre bis die Zeit reif war für einen neuen Anlauf. Ein Blick auf die da­ma­li­gen Park­an­la­gen rund ums Zürcher See­be­cken of­fen­bar­ten das Typische der 1950er und 1960er Jahre. Da gab es sauber ge­pfleg­te Wege mit hellgrün bemalten Bänken, ab­ge­trennt von hübschen Wiesen, Blu­men­ra­bat­ten und alten hohen Bäumen, alles schön gepflegt für sonn­täg­li­che Spa­zier­gän­ge zur Erholung von der Sechs­ta­ge-Ar­beits­wo­che. Vor den Wiesen steckten me­tal­le­ne Schilder im Boden: "Rasen nicht betreten". Niemand badete im See oder lag am Ufer. Dazu waren die höl­zer­nen "Ba­de­an­stal­ten" da und draussen am Ende der Parks je ein Strand­bad auf der Wol­lis­ho­fer- und der See­feld­sei­te. Das war auch die Zeit der Aus­gren­zung der ge­äch­te­ten Min­der­hei­ten, etwa der Fah­ren­den, der Ver­ding­kin­der, der Ho­mo­se­xu­el­len und der Kom­mu­nis­ten. Sie wurden als Schand­fle­cke ge­brand­markt und für ge­fähr­lich befunden. 

1968, vor fünfzig Jahren, bekam das Korsett des eta­blier­ten An­stan­des Risse. Ein un­über­seh­ba­rer Riss brach mit den Ju­gend­kra­wal­len um das "Globus-Pro­vi­so­ri­um" an der Zürcher Bahn­hof­brü­cke auf. Damit war, nur ein halbes Jahr nach dem Un­ter­gang des KREIS, die Bresche ge­schla­gen, durch die es nicht nur die Jugend, sondern auch die Schwulen schaff­ten, sich neu zu for­mie­ren und ihre Be­frei­ungs­be­we­gun­gen zu starten. Es ging um eine Ver­än­de­rung der Ge­sell­schaft. Sie sollte bei den Struk­tu­ren der Familie beginnen und gleich­zei­tig ging es darum, das Be­wusst­sein ganz all­ge­mein zu weiten. Die Ver­än­de­rung sollte von unten nach oben ge­sche­hen in an­fäng­lich wenigen, mit der Zeit aber mög­lichst vielen Schich­ten der Be­völ­ke­rung. 

Mehr zu diesem Jahr vor der ei­gent­li­chen Gay Li­be­ra­ti­on, die erst mit dem Sto­ne­wall-Inn-Aufstand von Ende Juni 1969 ihren ful­mi­nan­ten Start­schuss los­feu­er­te, mehr zum Vorjahr 1968 hier:

Die 68er Revolten

Die Trauerreden zum Abschied von Röbi Rapp

Die Ab­schieds­fei­er von Röbi Rapp bleibt in unserer Er­in­ne­rung. Auf schwu­len­ge­schich­te.ch haben wir die Trauer- und Wür­di­gungs­an­spra­chen von Stadt­prä­si­den­tin Corine Mauch, Josef Burri, Oliver Fritz und Tobias Urech zu­sam­men­ge­stellt. 

Bericht zur Abschiedsfeier sowie Trauer- und Würdigungsansprachen