Newsletter 145

Januar 2022

Diese Ausgabe enthält folgende Themen:

  • Wechselndes und Bleibendes
  • Aussichten des Vorstands

Wechselndes und Bleibendes

eos. "Wandel ist das einzig Unwandelbare", sagte schon Laotse 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Ein Bleibendes gibt es also nicht. Das Wechselnde ist das - vorläufig - Bleibende, könnte man weiterfahren. Wir wollen uns zwei Beispiele anschauen.

Im Januar 1932, also vor neunzig Jahren, hielten ein paar Frauen ein kleines hektographiertes Heftchen in den Händen. Sie hatten es selbst geschrieben und hergestellt. Sie freuten sich. Denn mitten im kalten Winter hatten sie ein zartes Veilchen geboren, wie es auf der ersten Seite hiess. Und dann fuhren sie fort:

"Ja, Frühling soll und muss es werden bei unseren Artgenossen, Freude und Sonnenschein soll hineingetragen werden in all die stillen Dulderherzen nah und fern. Wir wissen, wie qualvoll es ist, allein & unverstanden, oftmals von schlimmsten Seelenqualen verfolgt, den Weg durch das schwere Leben zu gehen."

Dieses erste Heft nannte sich Freundschafts-Banner. Aus ihm entstanden in ungebrochener Linie die Zeitschriften der Homosexuellen-Gruppierungen der nächsten 35 Jahre: Schweizerisches Freundschafts-Banner, Menschenrecht, Der Kreis. Danach folgten für weitere 20 Jahre club68, hey und SOH-Info. Das letzte Printprodukt war wieder ein kleines Heftchen, es starb 1988.

Ein Jahr zuvor, im Frühling 1987 erschien eine ganz andere neue Publikation. Sie gehörte nicht zu einer bestimmten Gruppe von Homosexuellen, sondern sprach alle an, die Teil der Szene waren. Passend nannte sie sich Cruiser und setzte als Untertitel hinzu Mit Züri Gay Guide. Das Editorial hatte Roger Staub geschrieben. Er war bekannt als Mitbegründer der Aids-Hilfe Schweiz (AHS) und Initiator der Aufklärung über Aids und der Präventionskampagnen. Zusammen mit den Gründern Markus Christen und Thommy Schallenberger prägte das Trio fortan die Szene mit ihrer Publikation. Die Gründe waren nicht ganz uneigennützig: Markus Christen konnte so mit seinen Läden "gratis" Werbung machen - "Macho Mens Shop" existiert noch heute… und Roger Staub kam seinem Präventionsauftrag seitens der AHS nach.

Auf die wechselvollen ersten Jahre begann sich der Cruiser zu etablieren und wuchs über Zürich hinaus in alle deutschsprachigen Regionen der Schweiz. Dabei wechselte er seine Untertitel mehrmals. Beispielsweise in züri gay guide magazin, dann konTaction und über lange Jahre einfach dieses Magazin ist schwul. Schliesslich hiess es Die Zeitung der Schweizer Gay-Community bis zum aktuellen Slogan: Kunst, Kultur & Lebensstil für die LGBT*-Community, das grösste Schweizer Gay-Magazin. Die Untertitel weisen sowohl auf den Wandel der Inhalte wie der Reichweite, Verbreitung hin.

Ein herausragender Redaktor war Martin Ender, der den Cruiser über fast fünfzehn Jahre lang prägte. Im Jahr 2015 hat Haymo Empl übernommen, später kam als stellvertretende Chefredaktorin Birgit Kawohl hinzu. Auch hier zeigt sich ein Wandel: Erstmals arbeitet aktiv eine Frau im leitenden Team. Der Cruiser feiert jetzt - im noch frischen 2022 - sein 35. Jubiläum und ist damit genau so alt wie es Der Kreis war, als er 1967 infolge der Repression und des Stadtzürcher Tanzverbots starb. Hoffentlich bleibt der Cruiser noch lange bestehen.

Wechsel und Dauern ist zum Jahresanfang auch ein Thema der seit 1956 bestehenden Zürcher Barfüsser-Bar. In der NZZ vom 2. Dezember 2021, S. 13 erschien ein Artikel von Mark Baer unter dem Titel "Die Zürcher Heimat der Schwulen und Lesben ist Geschichte". Im Lead steht, dass die Stadt Zürich einen neuen Mieter für den "Barfüsser" sucht und die Gay-Community enttäuscht ist. Warum? Der Leser erfährt, dass weder der Name noch die bisherige Sushi-Bar am bekannten Ort bleiben werden und dass die Stadt Zürich, der die Liegenschaft gehört, das Lokal an neue Pächter vermieten wolle. Dabei wünsche sich die Stadt Pächter aus der Community, mache das aber nicht zur Bedingung. Da der Name "Barfüsser-Bar" mit keinem Vertrag an die Liegenschaft gebunden sei, erfährt man weiter, war es der bisherigen Pächterin möglich, ihn für sich schützen zu lassen. Sie hat nun ihre neue "barfüsser - sushi bar & lounge" bereits im November eröffnet. Dies in der ehemaligen Platzhirsch-Bar am Anfang der Spitalgasse, also nahe beim Hirschenplatz im Zürcher Niederdorf. Interessenten für die ursprüngliche Lokalität an der Spitalgasse 14 müssen den dortigen Betrieb unter einem anderen Namen führen.

Eine unschöne Geschichte, wenn man die historischen Zusammenhänge bedenkt. Seit dem 12. Jahrhundert stand vis-à-vis des Predigerklosters der Dominikaner ein städtisches Siechenhaus (Spital), das bis ins 19. Jahrhundert geführt wurde. Etwas davon entfernt gab es zwischen Brunn- und Spitalgasse einen offenen Ort, den Mushafen-Platz oder Mus-Platz, wo mittellose Stadtbewohner und Reisende wie auch Kranke Brei oder Suppe gratis erhalten konnten. Mönche bereiteten das Essen zu und schöpften es aus grossen Bottichen (Mushafen). Diesen Brauch übernahm Huldrich Zwingli 1525 in seine Almosenordnung. Nun allerdings waren soziale Werke Aufgabe von Stadt und reformierter Kirche. Es wäre denkbar, dass vor der Reformation auch Barfüssermönche sich daran beteiligten. Ihr Kloster lag ja in der Nähe zwischen der Unteren Zäune und dem Seilergraben, wo sich heute das Handelsgericht befindet. Nach 1860, als die Stadt ein neues Spital errichtete (auf dem Gelände des heutigen Universitätsspitals), das alte Spital abbrach und die Spitalgasse modernisierte, entstand auch das Haus mit der Nummer 14. Dort gab es im Erdgeschoss ein Speise- und Trinklokal. Die Bezeichnung "Barfüsser" mag in Erinnerung an den ebenfalls verschwundenen Mus-Platz und dessen Funktion gewählt worden sein. Schwulengeschichtlich bedeutsam ist Lokal und Name erst ab August 1956.

Rasch wurde damals die Barfüsser-Bar zur Heimat von homosexuellen Frauen und Männern nicht nur aus Zürich, sondern der ganzen Schweiz und international. Dies für über fünfzig Jahre. 2006 feierten wir das halbe Jahrhundert mit einem Cabaret-Programm in Anwesenheit von Rosa von Praunheim, der sich daran beteiligte und Grüsse aus Berlin mitbrachte. Im erwähnten NZZ-Artikel wird u.a. alt Nationalrat Martin Naef zitiert, "er erinnere sich noch gut an den Barfüsser, als dieser ein sozialer Ort gewesen sei, in dem sich vom Bankdirektor bis zum Stricher alle getroffen hätten". Im Herbst 2015 sind an der Hinterseite des Hauses, an der Brunngasse, drei Tafeln zur Schwulen- und Lesbengeschichte der Stadt Zürich angebracht worden. Dort war damals der Eingang zur Schwulen-Bar, während sich die Lesben an der Bar beim Spitalgasse-Eingang trafen.

Natürlich gab und gibt es Widerstand gegen diese Entwicklung. So wehrt sich insbesondere Marco Uhlig, der den Gay-Club Heaven an der Spitalgasse führt. Denn gerade in Zeiten, wo homophobe Übergriffe auf schwule Partygänger zum Problem geworden sind, wären queere Synergien mit einer Konzentration von Lokalen und damit mehr Polizeipräsenz besonders nötig.

Vermutlich aber ist es zu spät. Das Aktivieren von Verbindungen innerhalb der Community, damit queere Pächter für den ehemaligen "Barfüsser" gefunden werden, es ist wohl die einzige Option, die wir haben.

Für mich persönlich mit sehr vielen Erinnerungen an den "Barfüsser" ist der alte Mönch ein Wegstück weitergewandert und dem Hirschenplatz näher gerückt. Immerhin blieb er der Gasse treu. Und sollte sein bisheriges Heim von Schwulen oder Lesben übernommen werden, könnte die neue Beiz oder Bar "Zum Fuess" heissen und als Aushänger einen nackten, also baren Fuss zeigen. Schliesslich nannten wir in den späten 50er bis in die 80er Jahre hinein den "Barfüsser" einfach "de Fuess".

Aussichten des Vorstands

hpw. Auch das Vereinsleben kennt Wechselndes und Bleibendes. Dies gilt besonders, wenn es sich um einen Verein handelt, der sich um eine Website kümmert. schwulengeschichte.ch soll etwas Bleibendes und muss gleichzeitig etwas Wechselndes sein. 

Wir vom Vorstand des Vereins schwulengeschichte.ch sind froh darüber, dass die Vereinskasse in einem gesunden Zustand ist. Wir freuen uns auch darüber, dass die Website technisch einwandfrei funktioniert. Noch mehr freut es uns, dass schwulengeschichte.ch kontinuierliche mehr Besucher:innen hat.

Auf diesem stabilen Fundament ruhen wir uns nicht aus. Es gibt uns endlich die Möglichkeit, die Weiterentwicklung an die Hand zu nehmen. Wenn ich schreibe, die Kasse sei in einem gesunden Zustand, dann heisst das, wir können den weiteren Betrieb sicher gewährleisten.

Für den weiteren Ausbau der Inhalte werden wir auf zusätzliche Mittel angewiesen sein. Diese Fundraising-Aktivitäten werden wir im beginnenden Jahr vorantreiben. Wir haben einige grössere und kleinere Projekte in der Planung: Filmreihen und -festivals, die Basler Geschichte, die Homosexuellen Arbeitsgruppen, die sozialen und kulturellen Folgen von Aids, die Clubszene der 1990er-Jahre...

Geld alleine macht die Arbeit nicht. Wir vom Vorstand leisten unsere Arbeit natürlich ehrenamtlich und das mit viel Freude. Für unsere Erweiterungsprojekte sind wir jedoch auch auf zusätzliche menschliche Ressourcen angewiesen. Wir suchen dafür Historiker:innen und historisch Interessierte, die uns bei dieser schönen Arbeit unterstützen.

So schauen wir guten Mutes und mit Schaffensdrang auf das beginnende Jahr. Lassen wir es ein erfolgreiches werden für schwulengeschichte.ch und für uns alle!