Newsletter 157

Januar 2023

Diese Ausgabe enthält folgende Themen:

  • fels löst sich auf
  • Der Barfüsser wird wieder kweer

fels löst sich auf

eos. Nach 25 Jahren Aktivität löste sich der Verein fels auf (Freundinnen, Freunde, Eltern von Lesben und Schwulen). Damit erlosch eine im gemeinsamen Kampf für gleiche Rechte entscheidend wichtige Gruppierung von engagierten Müttern und Vätern, die sich öffentlich dafür einsetzte, dass alle ihre Kinder dieselben Chancen in unserer Gesellschaft haben sollen, egal, ob sie hetero- oder homosexuell sind. Und weil sie Familien vertraten, fanden sie auch von Anfang an leichter Gehör in der Allgemeinheit als die Organisationen von Lesben und Schwulen. Doch mit der Einführung der Ehe für alle und dem allgemeinen gesellschaftlichen Wandel empfanden viele Eltern, Mitglied von fels zu sein sei nicht mehr wirklich nötig. Die Mitgliederzahlen schrumpften. Für die nun nötige Erneuerung und Verjüngung des Vereinsvorstands wollte sich niemand melden.

fels war am 1. November 1997 durch Hanna und Walter Keller aus Belp bei Bern gegründet worden und blieb fast 25 Jahre bestehen. Hanna war bis zu ihrem Tod 2005 Präsidentin. Die letzte fels-Hauptversammlung fand am 17. September 2022 im Alten Klösterli beim Zürcher Zoo statt. Die Leitung übernahm der Präsident Fritz Lehre aus Horw bei Luzern, der seit 2005 dieses Amt innehatte.

Die Versammlung beschloss die Auflösung. fels hatte noch 171 Mitglieder. Gleichzeitig fasste die Versammlung den Beschluss, die bisherige telefonische Elternberatung durch Kontaktpersonen weiter zu führen. Diese Personen sind dazu bereit und sollen nun über die grossen queeren Verbände LOS, Pink Cross und Milchjugend erreichbar sein. Die Praxis habe nämlich bis heute gezeigt, dass hilfesuchende Eltern von frisch geouteten Lesben und Schwulen Beratungen durch gleichfalls Betroffene suchten. Die Versammlung beschloss auch, das Vereinsvermögen sei vor allem für die Aufklärungsarbeit an Schulen und für junge queere Menschen einzusetzen. Es wurde den drei Organisationen "abq", "DU BIST DU", "gll" und der Milchjugend zugesprochen, wobei LOS und Pink Cross einen symbolischen Anteil erhalten werden.

Die Geschichte von fels ist auf schwulengeschichte.ch bis zum Jahr 2007 dargestellt. Auch der Newsletter Nr. 94 vom November 2017 weist auf diese Geschichte hin. Fritz Lehre will in den nächsten Monaten noch einen Überblick zu den fünfzehn Jahren ab 2007 bis zur Auflösung erstellen. Er bildet dann die Ergänzung der bisherigen Texte.

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Der Barfüsser wird wieder kweer

eos. Die Eröffungsfeier der "Kweer Café & Bar" war ein fulminanter Anlass mit über 200 Gästen aus der Community und von ausserhalb. Das Lokal ist vollständig umgebaut und präsentiert sich von der Spitalgasse her als Bar mit Theke und Sitzraum für Kaffee und Snacks, die auch nach draussen zu den Tischen und Stühlen in der Gasse serviert werden. Auch der alte Barfuss-Mönch über dem Eingang hat wieder seine ursprüngliche Bemalung erhalten und ist mit KWEER statt Barfüsser angeschrieben, was ebenso stimmig ist, denn queere Mönche gab es bestimmt früher genau so häufig wie heute.

Beim Eintreten ins Kaffee- und Bar-Lokal steht man in einem schönen Raum mit Tischchen und Stühlen und vor allem betörend exotischem Flair. Denn seine Hauptwand ziert eine tropische Seelandschaft mit üppig grünem Uferdschungel und gebirgigem Hinterland. Pinke Flamingos stelzen im Wasser, ein Schwarm von ihnen fliegt herbei - und im Hintergrund ist sogar der Pilatus zu erkennen. Man beginnt zu träumen, der Kaffeeduft wirkt beschwingend. Er kommt von der grossen Theke her. Sie wird abends zur Bartheke, hinter der freundlich-aufmerksames Personal alle Wünsche durstiger Gäste rasch erfüllt.

Am Ende der Theke sind schwarz-weiss Fotos aus der grossen Barfüsser-Zeit aufgehängt. Fotos, mit denen Liva Tresch in den 1960er-Jahren berühmt geworden ist, weil sie Menschen und Atmosphäre meisterhaft echt und lebendig einfangen konnte - und heute sind ihre Werke fast die einzig verbliebenen Zeitzeugen jener Jahre. Dazu gibt es dort die Geschichte der Barfüsser-Bar zu lesen, zweiteilig und in goldenen Rahmen gefasst.

Das Lokal kann durch Schiebewände geteilt werden, die auf beiden Seiten Büchergestelle sind. Geht man durch die Türe oder werden die Wände weggeschoben, vergrössert sich das Ganze enorm. Hier wurde eine Oase geschaffen mit Tischchen, Stühlen, niederen dunkelbraunen Brüstungen, begrünt von vielen Pflanzen, mit Hockern rundum und hinten einer runden kleinen Bühne. Sessel stehen nahebei und Vorhänge schliessen den Raum ab. Sie wirken schalldämpfend und verbergen u.a. auch den Notausgang zur Brunngasse. Alles ist in kühlem Petrolgrün gehalten, aber auch - Vorhänge und Hocker - in vielen warmen Rost- bis Brauntönen. Man fühlt sich wohl und möchte bleiben.

Die Stimmung des Publikums, das an diesem ersten Abend in beiden, dem vorderen und dem hinteren Raum dicht gedrängt stand, war gelöst, fröhlich und laut. Sie weckte Erinnerungen an die unvergesslichen späten 1950er-Jahre. Sehr alte Besucher, die das noch erlebten, waren restlos glücklich und fanden, dass es hoffentlich so bleiben wird!

Samuel Rensing, einer der Geschäftsführer, schrieb nach dem ersten normal betriebenen Wochenende:

"Es war richtig streng. Vor allem Freitag und Samstag wurden wir geradezu von Gästen überrannt. Das war schön - aber auch schön anstrengend! Am Sonntag war es dann etwas ruhiger und es kamen mehr ältere Gäste, die den Barfüsser noch sehr gut kannten und uns ihre Geschichten erzählten."

Hinter "Kweer Café & Bar" steht ein Team bestehend aus Marco Uhlig aus dem vis à vis gelegenen queeren "Club Heaven" und Samuel Rensing von "Ox'n Gastro AG" im Luzernischen, daher der Pilatus im Tropenbild. Weiter gehören die beiden ViCAFE-Gründer Christian Forrer und Benedikt Hess dazu. Dieses Team erhielt bei der stadtzürcherischen Ausschreibung den Zuschlag für ihr "hybrides Konzept", das von 8 bis 17 Uhr einen Café-Bar-Betrieb mit dem Angebot von u.a. Kaffee und Backwaren aus der ViCAFE-Rösterei und Bäckerei in Zürich-Altstetten und ab 17 Uhr eine Bar vorsieht mit regionalen Weinen, lokalen Bieren, Cocktails mit und ohne Alkohol sowie vielfachen Snacks.

Der hintere Raum kann für private Anlässe gemietet werden. Auch Podiumsgespräche oder musikalische Darbietungen sind dort möglich. Die Kweer-Bar will die Tradition des früheren Barfüssers wieder aufleben lassen und ein Safe Space für die ganze Community sein, wo alle LGBTIQ-Menschen sich zu Hause fühlen können. Zugleich soll die Café-Bar tagsüber allen offen stehen, von Nachbarn im Zürcher Niederdorf über Studierende an allen Schulen bis zu Familien und Touristen.

Marco Uhlig erklärte in einem Interview, das Gay.ch veröffentlichte:

"Samuel und ich waren beide Gäste im Barfüsser, und wir haben die Umwandlung in eine Sushi-Bar auch nicht so toll gefunden. Irgendwann ist die queere Community einfach nicht mehr hin. Als der Barfüsser neu ausgeschrieben wurde, sahen wir eine einmalige Chance. Wir haben das Lokal total entkernt, saniert, alles neu gemacht. Wir haben den am Haus gebliebenen Mönch neu angestrichen, damit er dem Original nahekommt. Wir werden die Willkommenskultur hegen und pflegen, so wie sie damals im alten Barfüsser war. Die Mitarbeitenden kannten noch die Namen der Stammgäste, die wussten, was sie trinken, und das versuchen wir auch zu übernehmen. Gastronomie verstehen wir ohnehin so. Nach zehn Jahren Heaven kenne ich praktisch alle Nachbarn, und wir haben auch mit ihnen gesprochen. Sie wollen keine lärmige Disco, aber wir haben rausgehört, dass sie sich eigentlich eine Quartierbeiz wünschen. Und das wird das Kweer durch den Tag als Café auch sein. Abends werden wir nicht Events wie Partys organisieren, dafür gibt es ja das Heaven nebenan. Dennoch haben wir auch Anlässe geplant. So haben wir eine Bühne eingebaut, die tagsüber im Café ein zweites Plateau zum Sitzen bietet, und abends werden wir sie dann nutzen. Besonders am Donnerstag wollen wir immer etwas anbieten, ein Community-Abend. So soll es etwa Karaoke-, Quiz- und Bingo-Abende geben. Oder derzeit zeigen wir jeweils sonntags die aktuelle Folge von "Prince Charming" ab 20 Uhr. Dazu passen die Räumlichkeiten. Das Kweer besteht sozusagen aus zwei Räumen, welche sich auch trennen lassen und dann für Anlässe gebucht werden können."

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