Klima der Angst

Als Anfang 1930 geborener Mensch waren meine frühen Lebensjahre unter anderem von der Angst der Eltern geprägt. Angst vor dem sich zunehmend verdüsternden politischen Geschehen. Zu meinen frühesten Erinnerungen - wir wohnten in Zürich - gehören fremde Gäste, die meist nur einen Abend, eine Nacht blieben und Gespräche führten, die ich nicht hören sollte. Das verunsicherte.

Mit etwa fünf begann ich an einer der Türen zum väterlichen Studierzimmer zu horchen. So lernte ich unbekannte Begriffe und Namen und hasste sie: Nazis, Hitler und viele andere. Die Angst kam von dort. Aber ich musste still sein und Fragen für mich behalten. Sie glaubten doch, ich würde schlafen. Mir blieb nur, möglichst viel zu erhorchen.

Erst später konnte ich fragen. Wer ist das? Was ist das? - in der Schule hat man davon erzählt. Mein Vater, offenbar erfreut über diese Neugier, erklärte vieles. Das ging bis zur Münchener Konferenz am 29. September 1938, als er bemerkte, ich könne nun selber lesen. So wurde trotz Fraktur die NZZ zur täglichen Lektüre, denn sie war mit dem Schweizerischen Beobachter das einzige abonnierte Blatt meiner Eltern. Noch später hingen grosse Karten in meinem Zimmer und mit Fähnchen wurde jede Veränderung der Kriegsfronten nachgesteckt.

Ich wusste, wir waren Zeugen von entsetzlichen Dingen, die einmal Geschichte sein würden. Und mein eigenes Erleben und Erfahren war verknüpft damit: die grosse Angst, was morgen sei und wie alles weiterhin geschehen werde, ob es einmal ein Ende geben und wie die Welt und wir selber dann aussehen mochten, tot oder lebendig, und wie lebendig?

Ernst Ostertag, Oktober 2008