Schwul leben
Noch einmal ein gutes Jahr später, im Oktober/November 1956, traf ich Röbi Rapp und war restlos verzaubert. Nach der wilden "Aufholzeit" der letzten drei Jahre hatte ich nun den Menschen gefunden, mit dem zusammen ich mir ein partnerschaftliches Leben vorstellen konnte. Und wir wünschten das beide. Wir waren gut 26 Jahre alt, hatten denselben Jahrgang.
Wir liebten einander. Nicht hinterfragbar. Also begann eine lange, gemeinsame Geschichte, zunächst im verschwiegenen KREIS-Ghetto, dann in den Nachfolgeorganisationen. Doch draussen hielten wir uns bedeckt und wohnten dreissig Jahre lang nicht im selben Haushalt.
Trotzdem, selbst diese Tarnung war nicht verborgen genug. Zu unserer Geschichte gehört auch eine Razzia der Sittenpolizei in meiner Wohnung früh morgens um fünf und danach die Unterschrift auf ein Protokoll, dass nichts Gesetzwidriges festgestellt worden sei, "kein minderjähriger Stricher bei mir übenachtet habe". Das, so wurde beteuert, bedeute die Ablage des Papiers an verschlossenem Ort bei der Sittenpolizei. Doch drei Jahre später, nach einem weiteren Milieumord 1961, kam eine Vorladung zur Kripo, wo das Protokoll trotzdem vorlag, wo mich die Polizeibeamten als "Schwuler" beschimpften und mit körperlicher Gewalt und Nötigung - "wir können Sie hier behalten und melden morgen in der Schule, wo Sie sind und warum", - dazu "weichklopften", ein aussagewirksameres Protokoll nicht nur zu unterschreiben, sondern auch mit Fingerabdrücken zu vervollständigen. Röbi erging es genau gleich, aber ohne Gewaltanwendung; ich hatte ihn gewarnt und instruiert.
Ernst Ostertag, Oktober 2008