1909-1979
Manuel Gasser: Ein Mann, der vielen Liebe schenkte
Manuel Gasser (1909-1979) war zu seiner Zeit ohne Zweifel eine Ausnahmeerscheinung: mutig und gleichzeitig vorsichtig genug, um fast unbeschadet ein Leben lang offen schwul über die Runden zu kommen. Verletzungen und Niederlagen gab es, in denen er erkennen musste, dass er ein Aussenseiter war und dass er für sein offen schwules Leben büssen musste (vielleicht am massivsten im Schuldspruch der Geschworenen im Prozess Bernard von Brentano gegen Gasser von 1947). Aber immer wieder gelang es ihm, sich aufzurappeln und freudig auf Neues einzulassen. Die "Fähigkeit des Staunens, des franken Bewunderns"1 hat er sich immer wieder neu erkämpft.
Schnell in der Auffassungsgabe, mit gesundem Selbstbewusstsein, hervorragendem Gedächtnis und sicherem Auge und mit Sprachsinn gesegnet, ein grosser Netzwerker und Schaffer, Frühaufsteher, der neben dem gewaltigen journalistischen Pensum immer noch Zeit für seine sexuellen Abenteuer und ausgedehnten Reisen fand: Das war Manuel Gasser. Weil er auf junge, sportliche, heterosexuelle Männer stand, hielten seine Beziehungen nie lang; manchmal wurde seine "Menschenfresserei" zur Obsession. Für die einen blieb er ein Salonlöwe und Paradiessucher, für andere ein grosser Stilist und einflussreicher Kulturschriftsteller und für einige wie zum Beispiel Golo Mann ein lebenslanger treuer Freund. Seine Stellung in der Zeit hat Friedrich Dürrenmatt im Todesjahr so umschrieben:
"In einer Zeit, die krampfhaft nach dem Unkonventionellen aus ist, [...] wirkt er, einer der wenigen wirklich Unkonventionellen, auf eine wohltuende Weise konventionell: Er macht nie eine Mode mit, er wagt Standpunkte einzunehmen, die ausser ihm beinahe niemand mehr einzunehmen wagt, mit jener gelassenen Selbstverständlichkeit, die nur jenem eigen ist, der weiss, dass die Zeit jedes Neue ins Alte und jedes Alte ins Neue verwandelt."2
David Streiff, Januar 2017
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Manuel Gasser an Werner Weber, 3. Oktober 1954.
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Friedrich Dürrenmatt: Versuche über Manuel Gasser, Festschrift 1979. Später publiziert in Friedrich Dürrenmatt: Literatur und Kunst, Diogenes Verlag, Zürich 1986.