1961
Anders und gleich
1961 schrieb E.W. zum Thema "Homoerotik und lesbische Liebe" aus ihrer Sichtweise1:
"Vergleich von Homoerotik und lesbischer Liebe
Es ist ein kühnes Unterfangen, die gleichen sowie die verschiedenen Probleme von männlicher Homosexualität und Lesbiertum einander gegenüber zu stellen. [...] Doch wenn diese Worte zum gegenseitigen besseren Verständnis etwas beitragen, haben sie ihren Sinn erfüllt.
[...] Die Frau im allgemeinen und mit ihr die Lesbierin liebt weiblich, d.h. die Hauptkomponente liegt im Seelischen. Was natürlich nicht behaupten will, der Mann sei keines Gefühls fähig, aber es kommt bei ihm anders zum Ausdruck. Es erfüllt sich nicht allein in der Liebe, sondern strebt darüber hinaus ins Schöpferische. Das erotische Erlebnis geht vielleicht weniger tief, das daraus resultierende Werk [...] wächst aber höher.
Selbstverständlich gibt es auch schöpferische Frauen, speziell unter denen, die sich zum Weiblichen hingezogen fühlen. Aber es handelt sich dabei um eine Minderheit. Die Frau scheint dafür geschaffen, in der Liebe - ich sage absichtlich nicht in der Erotik! - aufzugehen. Daher die viel dramatischeren Auflösungen lesbischer Verhältnisse, während anderseits, wo es einmal klappt, eine lesbische Freundschaft ebenso schön sein kann, wie eine gute, dauernde Männerfreundschaft. [...]
Nun zum Gemeinsamen. Das Wichtigste: die Stellung innerhalb - ich weigere mich zu sagen ausserhalb - der Gesellschaft. Und da urteilen die Aussenstehenden ganz verschieden. [...] Entweder man versteht Homosexualität und Lesbiertum, oder keines von beiden. [...]
Aus rein logischen Überlegungen halte ich ausdrücklich daran fest, dass das Gemeinsame alle Verschiedenheit überwiegt, und dass das Verstehen der einen Seite und Ablehnen der anderen nur halbes Verstehen, ja unmöglich ist. [...] Wir alle versuchen, unseren Platz in einer uns vielfach ablehnenden Öffentlichkeit als eine Minderheit von Aussenseitern zu behaupten. Wer dies geistig rechtfertigt und Geschlechtsbeziehungen als Teil des Lebens [...] betrachtet, hat entschieden einen Vorsprung. [...] Nicht, um daran zu zerbrechen, sondern um daran zu wachsen, sind wir so."
Ernst Ostertag, Juni 2006
Quellenverweise
- 1
Der Kreis, Nr. 10/1961, Seite 8