1937

Lehrer, Liebhaber

... Beginn einer aussergewöhnlichen Beziehung

Am 12. April 1937 nahm Nico Kaufmanns Leben eine neue Wende. Er lernte den zwölf Jahre älteren und bereits weltberühmten Künstler und Klaviervirtuosen Vladimir Horowitz (1904-1989) kennen. Seit 1929 lebte Horowitz in Paris und war verheiratet mit Wanda Toscanini, mit der er eine Tochter hatte. Wanda war eine der beiden Töchter des - ebenfalls weltberühmten - Dirigenten Arturo Toscanini. 

Horowitz nahm den begabten Jüngling als Schüler an. Bald entwickelte sich eine Liebesbeziehung zwischen den beiden.

Zum Beginn dieser Freundschaft - sie dauerte bis in den Oktober 1939 - einige Passagen aus dem grossen Memoiren-Abschnitt "Vladimir Horowitz, Idol - Lehrer und Freund", kurz nach der ersten Begegnung vom 12. April1:

"Meine Bitte, ihm nochmals, besser vorbereitet, vorspielen zu dürfen, akzeptierte er. Beim zweiten Treffen waren wir allein, ich fühlte mich ein wenig freier und spielte vielleicht ein bisschen besser. Er hörte mir aufmerksam zu, kam schliesslich zum Flügel, zeigte Interesse, korrigierte beiläufig und sagte schliesslich: 'Musikalisch sind Sie, aber Klavierspielen können Sie nicht.'

Beim anschliessenden Tee fragte er mich, ob es mir Spass machen würde, mit ihm einmal zu dinieren, er fühle sich allein in Basel, da er ausser Bernoulli niemanden kenne. An meinem nächsten freien Abend trafen wir uns. In dieser Zeit konzertierte er nicht, da er nach einer Blinddarmoperation unter einer leichten Venenentzündung litt.

Zur Erholung hatte er einen Aufenthalt in Luzern vorgesehen. Dort sei er nach der Abreise seiner Frau wieder alleine und er würde sich freuen über meine Gesellschaft. Er könnte mir ein paar Lektionen geben, falls ich eine Möglichkeit hätte, irgendwo üben zu können. Ich fiel wie aus den Wolken. War es möglich, dass mir der grösste Pianist unserer Zeit nicht nur Freundschaft, sondern sogar Unterricht gewährte?"

Mit Horowitz in Luzern2:

"Die Möglichkeit zum Klavierstudium bedeutete vorerst eine Aufgabe der geplanten Dirigentenlaufbahn. Auch die Möglichkeit eines nur zeitweisen Unterbruchs, falls meine Fähigkeiten als Pianist nicht ausreichen würden. Ich glaube, dass dieser Umstand auch die sofortige Einwilligung Papas, nach einem Gespräch mit Horowitz, ermöglichte. Auch die Direktion des Theaters war mit einem Urlaub bis zum Ende der Saison einverstanden. Rückblickend war es die wichtigste Weichenstellung in meiner Laufbahn. [...] Im Mai 1937 ging ich nach Luzern."

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Ernst Ostertag, Juni 2006

Quellenverweise
1

Nico Kaufmann: Memoirenfragmente, "Vladimir Horowitz, Idol - Lehrer und Freund", Seite 7

2

Nico Kaufmann: Memoirenfragmente, "Vladimir Horowitz, Idol - Lehrer und Freund", Seite 9