Stern am Modehimmel
Tom, wie ihn alle nannten, kam um 1949 mit seiner dominanten Mutter aus Berlin nach Zürich. Frau Wetzel war geschieden, hatte einen reichen Metzger kennen gelernt und ihn geheiratet, um Schweizerin zu werden und ihrem Sohn eine Existenz aufzubauen. So jedenfalls erzählte sie ihre Geschichte uns (Ernst Ostertag und Röbi Rapp) und anderen. Sie war eine gewiefte Geschäftsfrau, immer perfekt angezogen, äusserst charmant und witzig. Wenn sie im Laden stand, ging keiner mit leeren Händen hinaus. Ihr geschliffenes Mundwerk und die zugleich mütterliche Liebenswürdigkeit beindruckte und überzeute jeden. Kaum einer hat es später bereut. Sie wusste sofort, was den Kunden kleidete. Wenn wir nichts kaufen, sondern nur die begehrten Werbeprospekte holen wollten, schauten wir durchs Schaufenster rein und war sie da, kehrten wir um und kamen ein anderes Mal zurück.
Ihr Sohn lispelte leicht, war kunsthandwerklich hoch begabt, entwickelte sich am Anfang aber nur langsam. Doch dann stieg er mit Mutters Hilfe wie ein Stern am Modehimmel auf. Sexbewusste Jungs, Herren aus Wirtschaft, Gastgewerbe oder Bankenwelt, Leute, die sich in Beruf und Freizeit chic und speziell kleiden wollten, sie waren sein Zielpublikum.
1957 begann er mit einer winzigen Boutique in der Mühlebachstrasse 9 beim Bahnhof Stadelhofen, wo er exklusive Lederjacken nach Mass kreierte. Im Januar 1958 hiess es im Kleinen Blatt des Kreis: "Spezialanfertigung - Wildleder und Leder: Mäntel, Jacken, Hosen, Gilets". "Pullis, Boxershirts" stand ergänzend dabei und das Inserat gab die Firma bekannt: "Tom Men's Shop". Gegründet hatte sie die Mutter.
Ernst Ostertag, Juni 2006