1892-1973

August Kruhm

"Musik ist kein Strohhalm, der zerbricht"

August Kruhm war von 1948 bis 1967 Mitarbeiter des Kreis. Gleichwohl liegen bis heute nur wenige Angaben zu seinem Lebensweg und Werk vor. Kruhm wurde von den Nazis kriminalisiert und verfolgt, und trotzdem gab er sich in der Nachkriegszeit selbstbewusst und mutig als "Homophiler" zu erkennen.

Neben der Literatur und dem Theater galt die große Leidenschaft des Kritikers August Kruhm der Musik. Deshalb erstaunt es kaum, dass der Gedichtband, mit dem Kruhm 1925 debütierte, den Titel "Klänge" trug. Leo Sternberg (1876–1937) lobte den Debütanten seinerzeit als "feinsinnigen" Lyriker und "Vermittler zartfarbener Naturstimmungen".1 Sein Buch berechtige zu Hoffnungen. Gleichwohl ist das lyrische Werk Kruhms äusserst schmal geblieben. Umfangreichere Spuren hat Kruhm als Journalist hinterlassen - und das sowohl in der Tagespresse seiner Heimatstadt Frankfurt als auch im Kreis sowie in anderen Zeitschriften für Homosexuelle der frühen Nachkriegszeit.2 Im Kreis gehörte Kruhm über einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten zu den beständigsten Mitarbeitern, obwohl seine Beiträge auch hier meist nur kurz waren. Bemerkenswert ist aber, dass er sie grösstenteils unter seinem Klarnamen veröffentlichte.

August Kruhm wurde am 26. August 1892 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Besuch der Klinger-Oberrealschule absolvierte er eine Ausbildung zum Kaufmann in einer Großhandlung für Papierwaren. Vor 1914 arbeitete er vorübergehend als Diktat-Korrespondent im hessischen Kassel, und bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er zum Militärdienst eingezogen. Von diesem wurde er 1918 als Sanitäts-Unteroffizier entlassen. Nach dem Tod seines Stiefvaters 1926 übernahm er dessen Waagen-Reparaturgeschäft, und dieses führte er zusammen mit seiner Mutter bis zu deren Tod 1939 weiter.3

Schon in jungen Jahren begann August Kruhm zu schreiben, und in den 1920er Jahren war er freier literarischer Mitarbeiter bei mehreren Frankfurter Zeitungen. Daneben verfasste er Musikkritiken für eine Reihe von Fachzeitschriften und mehr als 30 Hörspiele für den Rundfunk. Sein literarisches Debüt legte er 1925 mit dem schmalen Gedichtband "Klänge" vor, den er seiner "lieben Mutter" widmete.4 Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kruhm für einige Zeit Feuilletonredaktor der Frankfurter Rundschau, aber schon um 1949 wechselte er in das Archiv der Zeitung. Aus Anlass seines 70. Geburtstags erschien in der Frankfurter Rundschau ein kurzer Artikel über ihn aus der Feder seines Kollegen Hans-Jürgen Hoyer (1915-1975). Darin heisst es: "Der hochgewachsene, schlanke ältere Herr hat es immer eilig - so, als fürchte er, es könne ihm im Tempel der Musen etwas entgehen." Dort, "in den Gefilden von Literatur, Theater und Musik", sei August Kruhm schließlich zu Hause. Hoyer charakterisierte Kruhm als "bescheiden" - "der schöngeistige, allem Künstlerischen und Feinen aufgeschlossene Mann" habe nie das Rampenlicht gesucht.5

Um 1970 lebte August Kruhm denn auch "zurückgezogen zwischen seinen Büchern, Schallplatten und vielfältigen Erinnerungsstücken" in einer kleinen Wohnung am Rande der Frankfurter Innenstadt.6 August Kruhm blieb bis an sein Lebensende unverheiratet. Er starb am 12. März 1973 - ein halbes Jahr nach seinem 80. Geburtstag.7 Über sein Privatleben schwieg sich August Kruhm in der Öffentlichkeit stets aus. Bekannt ist aber, dass er schon in den 1920er Jahren dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) Magnus Hirschfelds angehörte und mit dem Frankfurter Vereinsaktivisten Hermann Weber (1882-1955) und dessen Lebenspartner, dem Industriellen Paul Dalquen (1893-1975), befreundet war. Kruhm und Dalquen waren einst gemeinsam zur Schule gegangen. Weber war vor 1933 Leiter der Ortsgruppe Frankfurt/Main des Berliner WhK, und er wurde 1949 Ehrenvorsitzender des Frankfurter Vereins für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) sowie Präsident des von dem Frankfurter Arzt Hans Giese (1920-1970) neugegründeten Nachkriegs-WhK.8 Als er 1955 starb, war es Kruhm, der im Kreis einen Nachruf auf ihn schrieb.9

Das dunkelste Kapitel im Leben August Kruhms dürfte die Zeit des Zweiten Weltkriegs gewesen sein. Im Frühjahr 1939 wurde Kruhm zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, und vier Jahre später wurde er erneut in Haft genommen, weil er sich wiederholt "im staatsabträglichen Sinne" geäussert habe. Hermann Weber schrieb 1947 an Kurt Hiller (1885-1972), Kruhm sei einst längere Zeit eingesperrt gewesen, "sodass wir ihn schon als verloren ansahen".10 Näheres erschliesst sich aus der Gefangenenakte Kruhms, die sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv befindet. Demnach wurde Kruhm "im Zuge einer seit Juli 1938 laufenden Aktion gegen Homosexuelle" festgenommen.11 Schon drei Monate zuvor, am 21. Februar 1938, war über ihn die Postsperre verhängt worden, weil er "dringend verdächtigt" wurde, sich gleichgeschlechtlich zu betätigen.12 Sein Sexualpartner war der 1909 geborene Heinrich T., den er um 1929 kennen gelernt hatte und mit dem er bis 1936 eine Beziehung unterhielt. Kruhm wurde am 12. April 1939 vom Frankfurter Schöffengericht wegen Vergehens nach Paragraph 175 alter und neuer Fassung des Reichsstrafgesetzbuches zu einer Haftstrafe von vier Monaten verurteilt. Strafmildernd berücksichtigte das Gericht, dass Kruhm geständig und ehemaliger Kriegsteilnehmer war. Strafverschärfend wurden hingegen zwei existierende Vorstrafen wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" gewertet. 1943 war Kruhm dann erneut für 21 Tage in Haft. Was im Einzelnen zu dieser Verhaftung geführt hat, ist unbekannt.

Als Vereinsaktivist hat sich August Kruhm in der Nachkriegszeit nicht sonderlich hervorgetan. 1948 bemühte er sich zwar darum, einen Lesezirkel für Homosexuelle zu gründen. Doch wissen wir nicht, ob dieser Zirkel je zustande kam. Ab demselben Jahr war Kruhm regelmässiger Mitarbeiter im Kreis, und ab 1952 schrieb er auch Kritiken für die Mitgliedszeitschrift Die Gefährten des Frankfurter Vereins für humanitäre Lebensgestaltung. Sie erschien bis 1954. Dem Kreis hielt Kruhm bis zu dessen Ende die Treue. Seine letzte Besprechung wurde in der vorletzten Ausgabe der Zeitschrift (November 1967) gedruckt. Kruhm veröffentlichte im Kreis teils unter seiner vollen Namensnennung (und oft mit der zusätzlichen Ortsangabe "Frankfurt am Main"), teils unter dem Kürzel "A. Kr.". Dieses Kürzel verwendete er auch als Rezensent in der Frankfurter Rundschau.

Wie aus seinen Rezensionen für den Kreis hervorgeht, fühlte sich Kruhm vor allem "klassischen" homosexuellen Schriftstellern wie Hans Christian Andersen, Oscar Wilde und André Gide verpflichtet. Er wandte sich in seinen Arbeiten aber auch Veröffentlichungen jüngerer Autoren wie Felix Rexhausen oder von Juristen und Sexualwissenschaftern wie Fritz Bauer und Willhart S. Schlegel zu. Kruhm widmete sich in seinen Besprechungen wiederholt der Frage, wie sich von ihm geschätzte Künstler mit ihrer "Veranlagung" im Spannungsfeld zwischen Kreativität und Einsamkeit auseinandersetzten. Einer, auf den er dabei immer wieder zu sprechen kam, war der russische Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky. Für Tschaikowsky, so hielt Kruhm fest, war die Musik das beste Geschenk des Himmels, und er zitierte den grossen "Meister" mit den Worten:

"Musik allein macht licht, versöhnt und beruhigt. Musik ist kein Strohhalm, der zerbricht, wenn man sich an ihn klammert; sie ist ein treuer Freund, Beschützer und Trostspender."13

Vermutlich hat auch August Kruhm die Macht der Musik selbst genau so erlebt.

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Raimund Wolfert, März 2017

Quellenverweise

1

Leo Sternberg: Land Nassau. Ein Heimatbuch. Leipzig: Friedrich Brandstetter 1927, S. 249, zit. nach: http://gutenberg.spiegel.de/buch/land-nassau-7001/73.

2

Eine Übersicht über die Besprechungen August Kruhms im Kreis sowie ein Literaturverzeichnis können bei der Redaktion von schwulengeschichte.ch angefordert werden.

3

Siehe hierzu August Kruhm: Die Waage im Wandel der Zeiten. Frankfurt a. M.: W. Kramer & Co. 1934.

4

August Kruhm: Klänge. Gedichte. Frankfurt a. M.: W. Kramer & Co. 1925.

5

hjh [d.i. Hans-Jürgen Hoyer]: Lyriker und Journalist. Zum 70. Geburtstag von August Kruhm, in: Frankfurter Rundschau vom 25.8.1962.

6

Vgl. hjh [d.i. Hans-Jürgen Hoyer]: Kritiker, Poet und Frankfurter. August Kruhm wird 80 Jahre, in: Frankfurter Rundschau vom 25.8.1972.

7

Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt: Sterbeurkunde August Kruhm (Signatur: STA 12 1.282, Urkundennummer 1.623).

8

Zu Weber siehe Raimund Wolfert: Hermann Weber – Leben und Wirken eines "Gentleman", in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 53 (Dezember 2015), S. 27-42.

9

August Kruhm: Ein kleines Gedenkblatt für Hermann Weber in Frankfurt a.M., in: Der Kreis 1955 (Jg. 23), Nr. 11, S. 36.

10

Hermann Weber in einem Brief an Kurt Hiller vom 16.11.1947 (Archiv der Kurt Hiller Gesellschaft/KHG).

11

Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden: Gefangenenakte August Kruhm des Untersuchungsgefängnisses Frankfurt (Abt. 409/4 Nr. 3718).

12

Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden: Karteikarte der Gestapo Frankfurt (Abt. 486 Nr. 60138).

13

Zit. nach August Kruhm: Geliebte Freundin, in: Der Kreis 1967 (Jg. 35), Nr. 5, S. 14.