1905-1965

Otto Hug

"Unsere Heimat ist und bleibt Griechenland"

Der frühere badische Studienrat Otto Hug verfasste für den Kreis mindestens zehn Artikel unter Pseudonym.1 Unter ihnen finden sich auch ein Bericht und eine Erzählung, die das eigene und das Verfolgungsschicksal eines Freundes zur Zeit des Nationalsozialismus thematisieren.2 Hug, der gebürtig aus der Schweiz stammte und sich im Kreis vornehmlich „Philander“ nannte, gehörte nach 1945 zu den Männern, die der Publizist Kurt Hiller (1885-1972) - einst ein Mitarbeiter Magnus Hirschfelds im Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) - für "befugt" hielt, eine neue Homosexuellenbewegung in Deutschland aufzubauen.3 Der Kreis bot ihm für sein Engagement zumindest vorübergehend eine geeignete Plattform, denn Hug hätte sich an der Zeitschrift auch einiges anders gewünscht. Sie atmete in seinen Augen zu wenig "antiklerikalen" Geist, so wie er selbst ihn vertrat.

Otto Hug wurde am 8. März 1905 in Rheinfelden im Kanton Aargau geboren. Sein Vater war Deutscher und stammte aus dem süddeutschen Reichenbach, aber seine Mutter kam aus Möhlin. Die Familie zog 1916 nach Freiburg im Breisgau, wo der Sohn bald ein Studium der Literatur und Geschichte aufnahm. Nach dem Studienabschluss arbeitete er als Lehrer an verschiedenen Oberschulen im badischen Raum, unter anderem in Bühl. Im Herbst 1940 wurde er nach Markirch (Sainte-Marie-aux-Mines, heute Département Haut-Rhin) in das von den Deutschen besetzte Elsass abkommandiert, von wo aus er 1942 zum Heeresdienst eingezogen wurde. Der äußere Anlass für die Einberufung zum Militär war der Umstand, dass ein homosexueller Freund Hugs aus Strassburg 1941 Opfer eines SS-Spitzels geworden war. Als das Freundes- und Kontaktnetz dieses Freundes aufgerollt wurde, geriet auch Hug ins Blickfeld der Ermittler. Nach einer mehrmonatigen Haft wurde er zwangsweise der Wehrmacht zugeleitet. Den Militärdienst absolvierte er in Wien. Im Oktober 1945 zog Hug wieder nach Bühl, wo er allerdings nicht mehr als Lehrer tätig wurde. Noch 1948 erhielt er vom Freiburger Unterrichtsministerium den Bescheid, man habe keine Verwendung für ihn. Ein Grund hierfür mag der einschlägige Strafregistereintrag gewesen sein, dessen Streichung Hug erst später erwirken konnte. Aber Hug litt mit zunehmendem Alter auch an gesundheitlichen Beschwerden, die ihm eine Rückkehr in den Schuldienst erschwert hätten. So führte er nach 1945 ein eher zurückgezogenes Leben. Zu seinem Kontaktnetz gehörten Karl Gerold (1906-1973), der Herausgeber der Frankfurter Rundschau, und dessen Frau, die Schweizer Pianistin Elsy Gerold-Lang (1899-1988), ausserdem eine Reihe von homosexuellen Aktivisten der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Unter ihnen befanden sich neben Kurt Hiller und Karl Meier / Rolf auch der Darmstädter Psychiatrie-Kritiker Ernst Ludwig Driess (1903-1969), der Berliner Medizinstudent und Vereinsaktivist Werner Becker (1927-1980) und der Regensburger Zahnarzt Josef Wagner (1902-1962), der sich um 1950 bemühte, einen "Briefbund" für Homosexuelle aufzubauen.4

Im August 1954 meldete sich Otto Hug von Bühl nach Freiburg ab, und bis zu seinem Tod am 11. März 1965 wohnte er in einem dortigen Altersheim.5 Wohl fühlte er sich hier aber nicht, und er dachte häufiger an eine Übersiedlung nach Hamburg, auch um in der Nähe Kurt Hillers zu sein, dessen Schriften er seit 1918 kannte und der seitdem Hugs "Leitstern" gewesen war. Die zwei anderen großen Idole, die Hug zeit seines Lebens hatte, waren der Berliner Sexualwissenschafter Magnus Hirschfeld (1868-1935) und der französische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger André Gide (1869-1951). Gemäss Hug herrschte in Deutschland und insbesondere im Schwarzwald nach 1945 wieder das Mittelalter. Aus dem Scheitern der Weimarer Republik, in die Hug einst seine Hoffnungen gesetzt hatte, und aus der Katastrophe des "Dritten Reichs" sowie des Zweiten Weltkriegs habe kaum jemand Lehren gezogen. Besonders erbosten ihn die katholische Kirche und deren Anhänger, die er gerne "die schwarze Canaille" nannte. Dem Christentum attestierte Hug eine "fundamentale Verlogenheit […] in sexualibus".6

Den Kreis lernte Otto Hug Anfang 1949 durch Kurt Hiller kennen, und obwohl er sich freute, dass die Zeitschrift existierte und er in ihr publizieren konnte, stand er ihr von Anfang an ambivalent gegenüber. Kritisch hielt er fest, der Kreis enthalte viel "fade Literatur und Tanten-Dichtung".7 An der Zeitschrift störten ihn auch die Zugeständnisse, die Karl Meier / Rolf mit regelmässiger Wiederkehr an die Religion machte. In einem Brief an ihn teilte Hug denn auch mit, wie er sich eine vorbildliche Zeitschrift vorstellte:

"Sie müsste auf ganz einwandfreier wissenschaftlicher Basis stehen, niemals Konzessionen - in welcher Form auch immer - z.B. weder in der Weihnachts- oder Osternummer machen, in der Sache immer fest bleiben, dagegen 'in modo' konziliant, soweit das überhaupt möglich ist."

Für Otto Hug stand fest:

"Unsere Heimat ist und bleibt Griechenland, und Konzessionen an vorderasiatische und mittelalterliche Geisteshaltung zu machen, läge mir weltenfern. Ich würde von der Antike einen Sprung in die modernste Wissenschaft wagen, denn das sind die beiden Waffen, die untrüglich immer helfen können."

 Versöhnlich fügte er hinzu:

"Entschuldigen Sie meine Auslassungen. Sie wissen ja, wie sehr ich an Ihrem Heft hänge. Und in jeder Nummer sind Beiträge, die mir Freude machen und die mich entschädigen für manchen Ärger, den ich bei der Lektüre mancher Autoren auszustehen habe."8

In der frühen Nachkriegszeit war Hug vor allem daran gelegen, die deutschen Homosexuellen möchten eine eigene Zeitschrift gründen, um mit ihrer Hilfe selbstbewusst für die eigenen Belange einzutreten. Bemerkenswert ist hierbei Hugs Einschätzung, die deutsche Homosexuellenbewegung könne nicht einfach wieder da anknüpfen, wo sie 1933 aufgehört habe. Dazu hätten die Nazis zu "effektiv" gewütet:

"Sie haben uns nicht nur gründlich 'wie böses Unkraut' auszuraufen versucht, sondern sie haben die Herzen in ihren lieben 'aufnahmefähigen Sold' genommen, so gründlich gegen uns einzunehmen verstanden, dass wir, solange diese Generation lebt, nie mehr auf einen heiteren Tag rechnen können."9

 Von Mal zu Mal bedauerte er, dass man in Deutschland nicht mehr auf eine Persönlichkeit wie Magnus Hirschfeld zurückgreifen konnte. Dessen Schriften waren in der Nachkriegszeit nicht mehr erhältlich. Nicht einmal sein Name sei jüngeren Zeitgenossen noch ein Begriff, beklagte Hug mehrmals, Neuauflagen seiner Werke seien dringend nötig.

Als sich im August 1949 in Frankfurt am Main der Verein für humanitäre Lebensgestaltung (VhL) formierte und hier einen Monat später der Arzt Hans Giese (1920-1970) daran ging, das WhK Magnus Hirschfelds neu zu gründen, verfolgte Hug die Vorgänge interessiert aus der Ferne, aber recht schnell sah er sie sehr skeptisch. Bald hatte Hug nicht wenig Lust, vor Ort zu fahren, um "Krach" zu schlagen. Er beäugte insbesondere das kirchenfreundliche Vorgehen Gieses misstrauisch. Otto Hug war ein Mann, der wesentliche Impulse für seine geistige wie menschliche Entwicklung lange vor 1933 empfangen hatte und der sich in den Verlautbarungen Hans Gieses oder anderer seiner jüngeren Zeitgenossen nicht wiederfinden konnte. Giese stand für Hug viel zu sehr im "Sold" der Nationalsozialisten, als dass er in ihm einen geeigneten Verbündeten im Kampf um Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung entdecken konnte. Im besten Fall machte sich in seinen Schriften die Tradierungslücke bemerkbar, die der Nationalsozialismus gerissen hatte. Auch in seiner Besprechung der Broschüre Was jeder Mann wissen muss von Gerhardt Giehm (1898-1964) hielt Hug 1950 resigniert fest:

"Alle bis 1933 mühsam errungenen Erkenntnisse scheinen vergessen und verloren gegangen zu sein."10

Was vor diesem Hintergrund für Otto Hug einnimmt, sind sein Idealismus und sein Bemühen, aufrechten Hauptes durchs Leben zu gehen. Als sich 1951 ein Freund im Zuge eines Streits über Hugs Mitarbeit im Kreis lustig machte und ihn fragte, was er von ihr habe, andere würden ihn höchstens auslachen, antwortete Hug: "Haben? Das Gefühl, vielen Unglücklichen ein Lichtlein und vielleicht eine Stütze, ja Trost zu sein.“11 Sonst wolle er davon nichts haben. Auch diesbezüglich diente ihm Hiller als ein großes Vorbild. Ihm schrieb Hug einmal:

"Sie gaben mir, dem sehr Schwachen, eine Stärke, die mich auch in der entsetzlichsten Situation (1941) keine Sekunde verliess."12

Gegen Ende seines Lebens hatte sich Otto Hug von etlichen seiner Mitmenschen entfremdet. Trost fand er nun vor allem in der Literatur - in Werken von Joseph Breitbach, Hans Henny Jahnn, Eduard von Keyserling, Josef Mühlberger und Stefan Zweig. Trotz seiner gesundheitlichen Schwierigkeiten und seiner prekären finanziellen Lage war er stolz darauf, sich nie dem Zeitgeist angepasst zu haben. Seinen letzten Brief an Kurt Hiller schloss Otto Hug mit den Worten:

"Was mich angeht, werde ich als ganz ungebrochenes Exemplar der Gattung Mensch in die Grube steigen."13

Nach oben

Raimund Wolfert, Oktober 2017

Quellenverweise

1

Eine etwas ausführlichere Würdigung Otto Hugs und der Bedeutung, die dieser innerhalb der deutschen Homosexuellengeschichte einnimmt, ist nachzulesen auf: http://www.lsbttiq-bw.de/2017/05/04/neu-entdeckt-der-buehler-studienrat-otto-hug/. Hier findet sich auch eine Übersicht über die Veröffentlichungen Hugs im Kreis.

2

Anonym [d.i. Hug, Otto]: Lieber Kreis!, in: Der Kreis 1949 (Jg. 17), Nr. 3, S. 6-7, 23, und Manlius [d.i. Hug, Otto]: Wie Kaspar über Nacht billig zu einem Regenschirm kam, in: Der Kreis 1953 (Jg. 21), Nr. 10, S. 12-13.

3

So stützt sich dieser Beitrag für schwulengeschichte.ch auch vornehmlich auf den erhaltenen Briefwechsel zwischen Otto Hug und Kurt Hiller, der sich heute im Archiv der Kurt Hiller Gesellschaft (KHG, Neuss) befindet. Hier lagern 89 Briefe Hugs an Hiller und zwei von Hiller an Hug aus dem Zeitraum von 1948 bis 1964. Erst diese Briefe haben die Entschlüsselung der Pseudonyme Otto Hugs im Kreis ermöglicht.

4

Auch Ernst Ludwig Driess und Werner Becker schrieben seinerzeit Artikel für den Kreis. Driess bediente sich dabei des Kürzels L.G.H., Becker schrieb als "Akantha".

5

Belegt ist, dass Karl Meier / Rolf anfangs der 1960er Jahre Otto Hug im Freiburger Altersheim besuchte.

6

Otto Hug an Kurt Hiller vom 27.9.1951 (KHG).

7

Otto Hug an Kurt Hiller vom 4.3.1949 (KHG).

8

Otto Hug an Karl Meier / Rolf vom 3.8.1954 (KHG).

9

Anonym [d.i. Hug, Otto] 1949, S. 6 (wie Fußnote 2).

10

Philander [d.i. Hug, Otto]: Nach dem Fest, in: Der Kreis 1950 (Jg. 18), Nr. 2, S. 22-23, Zit. S. 22.

11

Otto Hug an Kurt Hiller vom 20.7.1951 (KHG).

12

Otto Hug an Kurt Hiller vom 12.10.1950 (KHG).

13

Otto Hug an Kurt Hiller vom 12.3.1964 (KHG).