1985

Orientierung

...der Schwulenpresse

In die erste Ausgabe der neuen Zeit­schrift anderschume/Kontiki vom Sep­tem­ber-November 1985 setzte Roger Staub seinen Aufsatz: "Im Pres­se­wald des heissen Sommers 85: Aids, Ratti, Aids und nochmals Aids". Er schrieb darin:1

"Klar, un­schul­dig ist die Aids-Hilfe Schweiz (AHS) nicht daran, dass Artikel auf Artikel er­scheint. Es dürf­ten's langsam alle wissen: Es gibt die Aids-Hilfe Schweiz; und ihr Prä­si­dent, André Ratti ist schwul, 50 und hat Aids. Und das ist gut so - aber jetzt reicht's. Denn durch Zei­tungs­ar­ti­kel und Fern­seh­sen­dun­gen wird das HTLV-III Virus nicht gestoppt. Die weitere Aus­brei­tung des Virus zu bremsen aber ist das Ziel der AHS. Be­trof­fe­nen und Ver­un­si­cher­ten Hilfe an­zu­bie­ten das Zwei­ters­te - Leute und Geld für die Arbeit zu finden, ebenso!

Die Aus­gangs­la­ge für die Arbeit ist gut. Die AHS steht - Mit­glie­der sind (fast) alle Schwu­len­grup­pen der Schweiz und das Bun­des­amt für Ge­sund­heits­we­sen (BAG). André als Prä­si­dent ist viel­be­ach­tet, etwas im Hin­ter­grund sind fähige und in­itia­ti­ve Leute da, sogar ein Büro hat die AHS schon und ein Vor­stands­mit­glied ist De­le­gier­ter in der eid­ge­nös­si­schen Fach­kom­mis­si­on für Aids-Fragen. Aber eben - von alledem lässt sich das Aids-Virus nicht be­ein­dru­cken!

Das wird erst gelingen, wenn ganz viele von uns einsehen, dass wir von der AHS nicht auf Panik und Hysterie machen wollen, sondern uns dafür ein­set­zen, dass wir in 2-3 Jahren nicht ame­ri­ka­ni­sche Zustände haben werden. Das Virus ist nun einmal da, noch viel mehr ist aber Angst, und damit auch Ver­drän­gung da.

[...] In den kom­men­den Wochen werden wir Aktionen in der Szene starten, um Euch zu in­for­mie­ren und auf­zu­klä­ren: über den ak­tu­el­len Wis­sens­stand, über Safer-Sex. [...]

Zuoberst auf der Trak­tan­den­lis­te stehen auch weitere Ge­sprä­che mit Po­li­ti­kern, Beamten und Or­ga­ni­sa­tio­nen. Wir müssen un­be­dingt ver­hin­dern, dass re­pres­si­ve Mass­nah­men gegen Schwule und andere be­trof­fe­ne Gruppen ein­ge­führt [...] oder dass Saunen und Bars ge­schlos­sen werden. Aus diesem Grund suchen wir das Gespräch mit Inhabern und Be­trei­bern von Lokalen [...].

In den ein­zel­nen Städten werden die Be­ra­tungs­stel­len weiter aus­ge­baut und nach Mög­lich­kei­ten gesucht, von Aids Be­trof­fe­nen und Ver­un­si­cher­ten Hilfe zu bieten. Die Zahl der Anrufe und Zu­schrif­ten wird fast wö­chent­lich grösser.

[...] Wir brauchen viele Pas­siv­mit­glie­der, die uns mit min­des­tens 20 Fr./​Jahr in unserer Arbeit un­ter­stüt­zen. Viele Pas­siv­mit­glie­der geben uns auch in der Öffent­lich­keit ein grös­se­res Gewicht.

[...] Vom Bund kommt langsam Geld, aber leider noch nicht genug. Deshalb sind wir froh um jede Spende, auch anonyme.

Und wir brauchen Leute, die mit­hel­fen. Wer einen Beitrag leisten will in Te­le­fon­be­ra­tung, in Gruppen, in Öffent­lich­keits­ar­beit und beim Ver­tei­len von Flug­blät­tern, der wende sich bitte an die lokalen Aids-Gruppen! [...]"

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Ernst Ostertag, März 2008

Quellenverweise
1

anderschume/Kontiki, Sep­tem­ber-November 1985, Seite 5