1986

Presse-Echo

Das Echo in der Presse war gross. Dazu zwei Beispiele:

Der Zürcher Tages-Anzeiger berichtete unter dem Titel "Jeder Haushalt erhält AIDS-Broschüre, Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG) lanciert Aufklärungskampagne":1

"Die in deutscher, französischer, italienischer und rätoromanischer Sprache publizierte Broschüre wird in verschlossenem Umschlag in die Briefkästen verteilt. Eine vergleichbare Informationskampagne hat es in der Schweiz bisher noch nie gegeben.

Das BAG hat sich zu diesem ungewöhnlichen Schritt entschlossen, obwohl in der Schweiz nur wenige Aids-Fälle bekannt sind. Bis Ende 1985 wurden in unserem Land 100 Aids-Kranke registriert gegenüber 22'000 weltweit. Als einen der Gründe für die breit angelegte Information nennt das BAG die Verunsicherung der Bevölkerung durch zum Teil widersprüchliche Meldungen in den Medien.

Zu den Besonderheiten der neuen Krankheit gehört aber auch, dass die Zahl derer, die Virusträger sind und andere anstecken können, die Zahl der tatsächlich an Aids Erkrankten um ein Mehrfaches übersteigt. Dieser Umstand verleiht Aids, rein statistisch gesehen, ein Ausbreitungspotential, dem derzeit laut Professor Beat Roos, Direktor des BAG, nur durch breite Aufklärung der gesamten Bevölkerung begegnet werden kann. [...]

Nicht zuletzt geht es dem BAG mit seiner Informationskampagne aber darum, ungerechtfertigte Ängste abzubauen und zu verhindern, dass Aids-Kranke oder Aids-gefährdete Personen oder Bevölkerungsgruppen ins gesellschaftliche Abseits geraten und von ihren Mitmenschen gemieden werden. [...]

Am Schluss der sechzehnseitigen Informationsschrift erhält der Leser einen leicht verständlichen und aufschlussreichen Einblick in die Funktionsweise des körpereigenen Abwehrsystems und die Besonderheiten des Aids-Virus, das dieses Abwehrsystem umgehen und zerstören kann. Die Schrift eignet sich deshalb auch als Grundlage für den Schulunterricht. [...]

Bereits seit November ist ein nationales Referenzlabor an der Arbeit, der Blutspendedienst des Schweizerischen Roten Kreuzes untersucht sämtliche Blutspenden, und in den kommenden Wochen wird an allen fünf medizinischen Fakultäten unseres Landes je ein spezialisierter Oberarzt eingestellt.

Ebenfalls gut angelaufen sei die Selbsthilfe der Gruppen mit risikoreichem Verhalten (Homosexuelle und Fixer). Die Aids-Hilfe Schweiz habe in den grösseren Agglomerationen erfolgreich Fuss gefasst. Für weitere Massnahmen besteht laut Roos zurzeit kein Anlass."

Im SOH-Info (Zeitschrift der Schweizerischen Organisation der Homophilen, SOH) vom April 1986 schrieb Marcel Ulmann in der Rubrik "Meinungen":2

"Wenn Euch diese Zeilen erreichen, hat das BAG mit grösster Wahrscheinlichkeit allen Haushalten der Schweiz [...] eine Informationsbroschüre über Aids zugestellt. Der Inhalt ist den Verantwortlichen der Aids-Hilfe Schweiz (und damit Vertretern aller drei Landesorganisationen, SOH, HACH: Dachverband der Homosexuellen Arbeitsgruppen Schweiz und AHS: Aids-Hilfe Schweiz) bekannt, denn sie durften bei der Vorbereitung der Texte mitwirken. Damit kann schon heute gesagt werden, dass die Standpunkte der Schwulenorganisationen weitestgehend berücksichtigt sind, ein Novum in einer gesamtschweizerischen Angelegenheit. [...]

Die Erfahrungen aus Amerika zeigen [...], dass die Existenz und Tätigkeit der Emanzipationsgruppen eine Voraussetzung bei der Bekämpfung dieser [...] Krankheit ist. Diese Erfahrungen gelten auch - und sogar besonders - für die Schweiz. Nur dank dem vorhandenen tragenden Gerüst der Organisationen war es möglich, innert kürzester Zeit eine neue Organisation mit lokalen Sektionen aufzustellen, die massgebend an den Massnahmen zur Bekämpfung und Aufklärung beteiligt ist.

Das süffisante Lächeln vieler unserer Mitschwestern, die solche Gruppen als unnötig erachten, ist inzwischen verschwunden. Dank der vernünftigen Haltung unserer Bundesbehörden, und insbesondere des Bundesamtes für Gesundheit, sind wir vor Massnahmen verschont worden, die sogar in relativ liberalen Ländern wie Schweden verfügt wurden. [...]"

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Ernst Ostertag, März 2008

Quellenverweise
1

Tages-Anzeiger, 15. März 1986, "Jeder Haushalt erhält AIDS-Broschüre, Bundesamt für Gesundheitswesen lanciert Aufklärungskampagne", Pressetext der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA/AP)

2

Marcel Ulmann, SOH-Info, April 1986, Seite 3, "Meinungen"