1988-2007
Hin zur Gleichstellung
Die Aids-Krise stellte jede der Schwulen-Organisationen und jeden Einzelnen vor ganz neue Probleme. Sie waren akut und brauchten Lösungen, für die es kaum Rezepte gab. Kranke und Sterbende brauchten Hilfe, jetzt und uneingeschränkt.
Aids bedrohte alle, nicht nur Schwule. Das musste ins Bewusstsein dringen. Ausgrenzungen waren zu stoppen. Die Frage hiess: Wie schützt man sich vor Ansteckung?
Gemeinsam wurden Lösungen gefunden und verwirklicht, Schwule gemeinsam mit Behörden und Fachstellen. Aids-Hilfe-Gruppen entstanden und nationale Präventionskampagnen starteten jährlich neu. Das strahlte in die Bevölkerung hinein und veränderte das Bild des "typischen Homosexuellen".
Die Erfahrung mit der Aids-Krise schuf auch ein neues Selbstverständnis, ein schwules Selbstbewusstsein. Denn jede Arbeit im Aids-Bereich setzte das Outing voraus. Mit den öffentlichen Aktionen trat jede Gruppe und Organisation mitsamt allen ihren Einzelpersonen als Schwule offen ins Gesichtsfeld der Gesellschaft. Dies mit einer positiven Botschaft (Prävention) und positiven Taten (Hilfe).
Damit wurden Schwule positiv wahrgenommen. Das war eine entscheidende Wende.
Hier weiter zu gehen, den Einsatz auf neue Bereiche auszudehnen, jene der gesellschaftlichen und rechtlichen Gleichstellung, das schien jetzt möglich. Denn Gleichstellung der Homosexuellen (Frauen wie Männer) bedeutete auch mehr Offenheit ganz allgemein.
Auch das war eine Erfahrung aus der Prävention: Schutz vor Aids hiess offen über Sex sprechen - und ein gefallenes Tabu wirkt befreiend. Für eine Mehrzahl der Bürger eine entscheidende Erkenntis.
Auch das Tabu Homosexualität sollte in Befreiung verwandelt werden. Das war die neu einzuschlagende Richtung.
Ernst Ostertag, September 2011