Kurz-Laudatio von Regierungsrat Dr. Markus Notter
Vernissage vom Mittwoch, 3. Juni 2009, 19:00, Vortragssaal Kunsthaus Zürich
Sehr geehrte Frau Stadtpräsidentin
Sehr geehrte Vorredner
Sehr geehrte Damen und Herren
Lieber Ernst und Röbi Ostertag-Rapp oder umgekehrt
Hätte jemand die beiden jungen Männer Ernst und Röbi vor 53 Jahren, als sie frisch verliebt waren, gefragt: wollt ihr mal eine Website zur Geschichte der Schwulen in der Schweiz machen, da hätten sie wahrscheinlich gesagt: was zum Geier ist eine Website? In den 50ern wäre es wohl schwierig gewesen, jemandem das Internet zu erklären. Das ist das Problem beim Fortschritt. Denkt man zurück, scheint vieles von dem, was später passiert ist, vorher unglaubwürdig.
Vermutlich hätten sich der junge Röbi und der junge Ernst nie träumen lassen, dass sie eines Tages E-Mails schreiben und eine Homepage editieren werden. Genauso wenig wie sie damals vermutlich gedacht hätten, dass sie sich Jahrzehnte später auf dem Standesamt in Zürich das Jawort geben werden, zweimal sogar.
Der Fortschritt, sehr geehrte Damen und Herren, ist etwas Erstaunliches. Und es spielt eigentlich keine Rolle, ob man den technologischen oder den gesellschaftlichen Fortschritt meint. Beide sind immer wieder für Überraschungen gut. Erreicht haben wir sowohl in der Technologie als auch in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten viel. Wer kann davon besser Zeugnis liefern als diese beiden Männer, die heute ihr - ich glaube, man darf das so bezeichnen - ihr Lebenswerk vorstellen. Und welches Werk wäre geeigneter, diese beiden Aspekte des Fortschritts besser zu vereinen, als eine Website über die Geschichte der Schwulen in der Schweiz?
Zurück zum frisch verliebten Paar von 1956 (wenn ich richtig gerechnet habe). Was hätten die beiden wohl weniger geglaubt: Dass es 53 Jahre später ein digitales Netz gibt, auf dem Informationen für jedermann auf der ganzen Welt immer einsehbar sind? Oder, dass sie auf diesem Netz eine Geschichte präsentieren werden, die mit Verfolgung und Ausgrenzung anfängt - und mit gesellschaftlicher und rechtlicher Gleichstellung endet?
Doch ich will das Bild der toleranten Gesellschaft nicht allzu schön ausmalen. Noch gibt es da ein paar dunkle Stellen. Allerdings: Genauso wie sich die Stellung von schwulen, lesbischen, trans- und weissichwasfür-sexuellen Menschen entwickeln wird - so wird sich auch diese Website weiter entwickeln. Es ist ein niemals abgeschlossenes Opus. Und damit, lieber Ernst Ostertag und lieber Röbi Rapp, sei euch und euren Helfern und Mitarbeitern auch gleich die Aufgabe übertragen, diese Website auf dem neusten Stand zu halten. Das ist nämlich gar nicht mal so einfach. Ich weiss nicht, ob Sie meine Website kennen. Die hat sich seit ihrer Geburt keinen Zentimeter bewegt. Angeblich sei das technisch schwierig. Aber was weiss ich.
Ich gratuliere euch zu diesem gelungenen Werk. Etwas traurig bin ich, dass ich es im Sommer nicht in die Ferien nach Italien nehmen und im Garten verschlingen kann. Dafür habe ich eine Ausrede, um wieder stundenlang am Computer zu sitzen.
Ihnen allen wünsche ich viel Vergnügen beim Surfen und pädagogisch wertvolle Stunden mit der schwulengeschichte.ch
Dr. Markus Notter, Regierungsrat Kanton Zürich