Zeitzeugen
In dieser Geschichte treten wir beide als Zeitzeugen auf und von diesen wohl als die letzten noch lebenden, die ab 1950 fast ununterbrochen in schwulen Gruppierungen in Zürich mehr oder weniger aktiv mitgemacht haben und die Leiter und Vaterfiguren jener legendären Schwulenorganisation DER KREIS nicht nur persönlich kannten, sondern als Kameraden und Freunde bei ihnen mitarbeiten durften.
Über den Leiter des KREIS, den Schauspieler Karl Meier / Rolf, sind mündliche Berichte und Erinnerungen an die wichtigen Männer und Pioniere bis in die 90er Jahre des 19. Jahrhunderts auf uns gekommen, denn er hatte viele von ihnen kennengelernt während seiner Zeit in Deutschland; und er liebte es, davon zu erzählen.
So spielt in der ganzen Geschichte einiges von unserem persönlichen Verwobensein mit. Schilderungen von Röbi und Ernst erhielten daher die Wir-Form, jene von Ernst allein die Ich-Form und besondere Einschübe, Erklärungen des Verfassers sind als Anmerkung gekennzeichnet.
Sicher gibt es noch viele Lücken. Besonders in den Jahren nach 1980 haben wir uns lediglich auf einzelne Gruppierungen, bestimmte Ereignisse und Reaktionen konzentriert. Späteren Generationen von echten Historikern sind weite Felder und viele Einzelheiten zur Bearbeitung geblieben. Noch liegen Dokumente und Materialien aller Art in privaten Händen und sind, wenn überhaupt, nur mühsam erschliessbar. Wir hoffen, mit unserer Arbeit auch etwas Bewegung in diese Sammlungen zu bringen, damit ihre Besitzer sie rechtzeitig im sas (Schwulenarchiv Schweiz) ablegen, wo sie gesichert und der Forschung zugänglich sein werden.
Der chilenische Filmemacher und Regisseur Patricio Guzmán sagte einmal: "Ein Land ohne Geschichte ist wie eine Familie ohne Familienfoto. Eine inhaltslose Erinnerung." Inhaltslos ist auch sinnlos. Dargestellte Geschichte schafft Einsicht und gibt Vergangenem Sinn. Das möchten wir den jungen Generationen von Homosexuellen in diesem Land mitgeben: Wer seine Geschichte kennt, ist besser vorbereitet und stärker motiviert, die nötigen Veränderungen und Forderungen bis zur völligen Gleichberechtigung durchzuziehen und sich dafür öffentlich einzusetzen.
Nach dem Tod des KREIS-Leiters "Rolf" schrieben wir am 3. April 1974 an seinen Freund und Lebenspartner Fredi Brauchli unter anderem: "Rolf bleibt mit unserem gemeinsamen Leben so eng verknüpft, wie es sonst keine Verwandten sind. Und ein eng Verbundener, das wird er uns immer bleiben." Aus dieser Verbundenheit wuchs schliesslich unser Wille zum Heraustreten in die Öffentlichkeit im Vorfeld der Partnerschaftsgesetze, zum Einsatz bei der Ausstellung "unverschämt" und sie bestimmte auch die Arbeit an dieser Website.
Ernst Ostertag und Röbi Rapp, Mai 2009