Newsletter 54

Juni 2014

Diese Ausgabe enthält folgendes Thema: 

  • Kolumne: Von der Männerliebe der Griechen zur Quotenschwester

      

Von der Männerliebe der Griechen zur Quotenschwester

eos. Vor 190 Jahren wurde der Ungar Karl Maria Kertbeny (1824-1882) geboren. Noch nie von ihm gehört? Ihm haben wir den griechisch-lateinischen Zwitter "Homosexualität" zu verdanken, ein sprachliches Unding, das sich aber international durchgesetzt hat. 1869 forderte er mit einem Buch Straffreiheit für sexuelle Handlungen unter Männern. Die sprachliche Benennung der natürlichsten Sache der Welt, wenn es sich um zwei Männer oder zwei Frauen handelt, ist so vielfältig wie die Sache selbst: Karl Maria Kertbeny

Heinrich Hössli setzte 1836 auf eine Umschreibung, um sein Anliegen zu benennen: "Eros, die Männerliebe der Griechen". Er wollte dieser Art Natur eine positive Bezeichnung geben. Es blieb ihm nichts anderes als das Zurückgehen ins vorchristliche Europa übrig. Denn zusammen mit dem Erlöschen der antiken Kultur verschwand auch jede positive Sicht und Wertung mannmännlicher Erotik. An ihre Stelle trat sukzessive das jüdische und christliche Konstrukt der "Sünde Sodoms". Ab 350 nach Christus, dessen Lieblingsjünger in der Bibel ausdrücklich genannt wird, wurde es mit Kaiser Justinians Codex iuris (Gesetzessammlung) auch zum juristischen Tatbestand und zur unmittelbaren Gefährdung von Leib, Gut und Leben aller gleichgeschlechtlich Liebenden. Damit zog die Ächtung dieser Liebe ins Bewusstsein des christlichen Abendlandes ein und wurde über Jahrhunderte tief und tiefer verinnerlicht. Um 1895 beschrieb sie Oscar Wilde als "die Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagte". Was keinen Namen haben darf, ist nicht existent. Doch in den letzten vier Dezennien des 19. Jahrhunderts setzte sich Hösslis Erkenntnis in ein paar klugen Köpfen durch: Diese Liebe ist eine natürliche Anlage. Folgerichtig begannen schwule Forscher Namen zu suchen oder zu erfinden, die der Sache eher angemessen schienen: Bezeichnungen für die Liebe ohne Namen

Heterosexuelle und homosexuelle Schriftsteller und Forscher wie Kertbeny, die das gleichgeschlechtliche Phänomen bei Zeitgenossen beobachteten, wollten es mit einer Bezeichnung etikettieren. Im frühen 20. Jahrhundert etablierten sich Psychologie und Psychiatrie als neue Wissenschaft. Jetzt ging es weniger um Namen, als um Beschreibungen des "Abnormen". Eine Liste solcher Namen und Beschreibungen gibt Einblick in Ansichten und Feststellungen, die sich für Schwule einmal mehr als lebensbedrohlich auswirkten, wenn sie zur "wissenschaftlichen" Begründung juristischer und/oder politischer Entscheide herbeizogen wurden: "Wissenschaftliche" Benennungen

Christliche Lehren verketzerten jede Form der Sexualität, die nicht der Zeugung, sondern der Lust diente. Ketzerei aber hiess Versündigung gegen Gottes Gebote und Gottes Schöpfungsordnung, dies oft in einem derart hohen Mass, dass nur die Todesstrafe - allermeist durch Verbrennen - den Ketzer austilgen konnte. Zu diesen Sünden gehörte "Sodomie": ketzerische, unzüchtige sexuelle Handlungen unter Männern, unter Frauen ("Hexen") oder mit Tieren. Bis in allerjüngste Zeit nahmen Theologen beider Konfessionen die "Forschungsergebnisse" der sonst in ihren Reihen wenig geschätzten Psychiatrie dankbar auf und formten Lehrsätze der Ausgrenzung und Ablehnung. Eine Auflistung solcher Namen und "Begründungen" liest sich traurig und amüsant zugleich: "Christliche" Benennungen

Die vielen Schimpfworte, abschätzigen Ausdrücke und neidgeprägten Biertisch-Zoten des Volksmunds sind bildstark und deftig. Niemand aber war und ist erfindungsreicher als die Homosexuellen selbst. Es ist sozusagen das heilige Recht jeder Minderheit, einen stets sich wandelnden Reichtum von Namen, Konnotationen der eigenen Emanzipation und des Lachens über sich selbst zu erfinden und unter sich auszutauschen. Gezielt etwas davon in die Umwelt, in die Mehrheit abzugeben gehört ins Spiel der Selbstbestätigung und des ernstgemeinten, nie erlöschenden Anspruchs auf Gleichberechtigung. Wird das zusammengetragen und aufgeteilt in Zeitabschnitte, so ergibt sich ein Bild der Geschichte dieser Minderheit: ein oft ätzend scharfes, ein oft derbes und ein manchmal feines, selbstironisches Bild.